Schicksal aus zweiter Hand
Todesstrafe dürfte sicher sein. Wie bekannt wird, hat das Justizministerium die schnelle und abschreckende Aburteilung der beiden Mordbuben angeordnet.«
Frank Gerholdt unternahm nichts, als er diese Meldungen las und hörte. Er saß in seinem Zimmer und starrte hinaus auf die Straße.
Nun bin ich wirklich ein Mörder, dachte er. Und nicht nur ein einfacher … ein dreifacher! Der Tod der beiden unschuldigen Kommunisten kommt auch auf dein Konto. Zwar ist ihre Aburteilung ein Zeichen der Zeit … sie würden auch hingerichtet werden, wenn er den Mord an Petermann gestand. Man war froh, einen Grund zu haben, die noch lebenden Kommunisten zu schocken – es war vielleicht ein lang gesuchter Fall, den die Parteistellen nicht mehr aus der Hand gaben.
Er zog sich an und fuhr zum Hauptpostamt. Von dort, aus einer der öffentlichen Fernsprechzellen, rief er den Oberstaatsanwalt an. Er war nicht erreichbar. Gerholdt zögerte, dann rief er erneut an … diesmal den Kreisleiter.
»Hören Sie«, sagte er mit verstellter Stimme. »Sie haben da zwei Kommunisten verhaftet, die Petermann erschlagen haben sollen. Das war ein Fehlgriff. Ich habe ihn erschlagen.«
Die Stimme des Kreisleiters war unwillig. »Reden Sie kein Blech, Mann! Diese Ablenkungsversuche ziehen bei uns nicht. Sie haben ja gestanden.«
»Was haben sie?« rief Gerholdt verblüfft.
»Gestanden, Mann! Unsere Gestapo kriegt jeden zum Geständnis! Was wollen Sie also? Sie hätten sich den Groschen sparen können!«
Klick. Der Kreisleiter hatte eingehängt. Benommen verließ Gerholdt die Telefonzelle. Sie haben gestanden … sie haben – – – Er wischte sich über die Augen und stand eine lange Zeit vor dem Hauptpostamt und starrte in den regen Verkehr, der zum Kölner Dom flutete.
In welcher Zeit lebe ich, dachte er. Hier werden Morde begangen, die andere gestehen und dafür büßen. Ist denn die ganze Welt irrsinnig geworden …
Und das Leben ging weiter.
Frank Gerholdt fuhr wie jeden Tag in seine Fabrik am Ufer des Rheins. Die Arbeiter und Angestellten grüßten ihn stramm mit dem deutschen Gruß. Dr. Schwab wartete schon im Büro … er sollte heute mit Hilfe einiger Ingenieure seine neue Versuchsabteilung übernehmen.
Gerholdt drückte ihm die Hand. Es war ein schlaffer Druck. Dr. Schwab sah erstaunt auf.
»Sind Sie krank, Herr Gerholdt?«
Gerholdt schüttelte den Kopf. Er trat ans Fenster und blickte über den im Morgendunst hinfließenden Rhein.
»Eine schlaflose Nacht, Dr. Schwab. Ich habe über Ihr Projekt nachgedacht.« Er lächelte schwach, als er sich wieder in den Raum drehte. »Man wird älter, mein Lieber. Ich werde in Zukunft schlaflose Nächte vermeiden …«
Zwei Jahre später kaufte Frank Gerholdt am Rhein, in der Nähe Düsseldorfs, ein großes Grundstück und begann, nach Plänen eines bekannten Architekten sein Landhaus zu bauen. Es sollte ein lang hingestreckter, flacher Bau werden mit einer überdeckten Terrasse, einem Schwimmbecken inmitten einer kurzgehaltenen Wiese, weiten Rosenrabatten und einem parkähnlichen Abschluß zur Straße hin, die hinter dem Haus am Rhein entlangführte. Ein Tennisplatz wurde angelegt, ein Bootshaus mit einem Motorboot schaukelte auf Schwimmern im Rhein. Dr. Schwab lächelte, als er die Pläne sah, und nickte dazu.
»Man sieht, wer Geld hat«, sagte er neckend.
»Es ist alles für Rita.« Gerholdt faltete die Pläne zusammen und steckte sie in eine Mappe. »Ich käme mit einem Bett im Büro aus.«
Dr. Schwab schob die Laboratoriumsberichte zusammen, die er Gerholdt vorgelegt hatte. »Sie lieben Ihre Tochter über alles?«
»Wundert Sie das?«
»Ich möchte – wenn ich mir die Freiheit erlauben darf – fast sagen, daß Sie in sie vernarrt sind. Das ist ein Fehler, Herr Gerholdt. Sie wollen Rita erziehen zu einem Kind, das nur die Sonnenseiten des Lebens kennt.«
»Allerdings.«
»Es wäre besser, wenn sie auch weiß, was Schatten sind. Das Leben ist nicht nur sonnig.«
»Das ihre soll es sein! Dafür schufte ich Tag und Nacht. Schatten habe ich genug kennengelernt … es reicht aus für einige hundert Schicksale. Ritas Schicksal will ich gestalten – ich ganz allein! Und so wird keiner sein, der mir ins Handwerk pfuscht, solange ich denken und arbeiten kann!«
»Sie vergessen Gott.«
»Dr. Schwab – hören Sie bitte davon auf!« Gerholdt legte die Hände auf den Rücken, er war plötzlich erregt. »Ich habe vor zwei Jahren Gott herausgefordert! Ich habe ihn zum Duell geladen! Er kam
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