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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Du nimmst Dir am besten einen Atlas her und suchst Dir alle die Länder aus, die Du gerne sehen möchtest. Die schreibst Du mir dann, und Papi will sehen, daß er später für alle diese Länder eine Fahrkarte bekommt …«
    Er schrieb noch viel in diesem Brief. Viel Dummes, viel Dahingeschwätztes, viele Lügen und ein Gebirge von billigen Illusionen. Er zwang sich, den Ernst der Zeit zu vergessen, er belog sich selbst, er faselte Dinge auf das Papier, die in diesem Augenblick mehr eine Ironie als eine Sehnsucht waren.
    Als er den Brief noch einmal überlas, ekelte es ihn vor sich selbst. Aber er schickte ihn ab. Nie soll Rita wissen, was Not und Elend bedeuten, sagte er sich immer wieder vor. Nie soll sie Leid erfahren. Ihr Leben soll erfüllt sein von Freude und Glück, von Zufriedenheit und Sorglosigkeit. Sie soll nie die dunklen Seiten des Lebens sehen … nur die Sonne, die sie froh macht, nur das Licht, das Leben bedeutet und Wachsen und Glück.
    Aus Süddeutschland kamen neue Maschinen. Sie wurden nicht mehr in die Hallen aufgestellt, sondern kamen unter die Erde. Die Betonbunker wurden ausgebaut … unter den Schutthalden der alten Fabrik entstand in der Tiefe der Erde ein unterirdisches Werk, sicher vor allen Bomben, unsichtbar vor allen Aufklärungsfliegern, die selbst am Tage ungehindert den Rhein hinabflogen und fotografierten.
    Unter drei Meter dicken Eisenbetondecken ratterten die Walzen. Besondere Drehbänke drehten Stahlzylinder, in deren blitzenden Leib einmal die geheimnisvolle Treibfüllung eingelassen werden sollte, die das Geschoß über die Stratosphäre hinaus in das Weltall schießt, um es als eine riesige, alles vernichtende Faust auf das Ziel fallen zu lassen.
    Aus Berlin trafen technische Beobachter ein. Offiziere, Ingenieure, stille Wissenschaftler, von denen durchsickerte, daß in Peenemünde an der Ostsee die Forscher mit der wahnwitzigen Ausnutzung der Atomkraft beschäftigt waren.
    Dr. Schwab schüttelte den Kopf, als Gerholdt ihm eines Abends in seinem Büro, zwanzig Meter unter dem Rhein, davon berichtete.
    »Irrsinn! Wir werden uns selbst vernichten! Wir werden uns eines Tages auflösen in einer einzigen, die ganze Welt umfassenden Explosion!«
    »Zunächst werden wir siegen, Dr. Schwab!«
    »Unter der Erde?«
    Frank Gerholdt wandte sich ab und ließ Dr. Schwab stehen.
    Innerhalb sechs Monaten wurde die Fabrik noch fünfmal angegriffen. Die neuen Montagehallen wurden weggeblasen, die Trümmerberge wurden umgepflügt, die Konstruktionsbaracke wehte in den Rhein und schwamm wie ein gekentertes Schiff stromabwärts, bis sie bei Xanten aus dem Rhein gefischt wurde und als Unterschlupf für die Bombenopfer diente. Unterdessen wuchs die Fabrik unter der Erde. Der Gauleiter besichtigte den Fortgang der Arbeiten. Er drückte Gerholdt kernig die Hand.
    »Der Führer läßt Ihnen durch mich seinen Dank aussprechen«, sagte er und gab seiner Stimme einen Schimmer von Feierlichkeit und geschichtlicher Würde. »Er läßt sich laufend von dem Fortgang der Arbeiten berichten. Damit es schneller geht, werden Sie in Kürze mehr Arbeitskräfte bekommen –«
    Am Sonnabend der folgenden Woche rückten lange Autokolonnen den Rhein hinauf zu den unterirdischen Stahlwerken. Zusammengepfercht wie Tiere standen auf ihren Ladeflächen blasse, verhungerte, halbtote Menschen. Gestreifte Jacken, gestreifte Hosen, kahlgeschorene Schädel. Alpträume von Menschen. Ihre dumpfen, leeren Blicke überflogen den Rhein, die Trümmerstätte der Fabrik, die Arbeiter, die verwundert herumstanden und den Wagenkolonnen entgegenstarrten.
    »Aussteigen!« brüllte jemand.
    Die Klappen der Ladeflächen fielen. Aus einigen Wagen sprangen SS-Männer mit Maschinenpistolen und langen, biegsamen Ledergerten.
    »Schneller!« schrie jemand. »Ihr Scheißkerle – wollt ihr wohl?!«
    Unter den Schlägen der Ledergerten sprangen die Männer von den Wagen. Sie fielen auf die Erde, krochen weiter, richteten sich auf und standen dann auf dem Platz … ein Heer blauweiß gestreifter, kahlköpfiger, halbtoter Kreaturen, lautlos, stumpf, mit hängenden Köpfen.
    Ein SS-Offizier kam auf Frank Gerholdt zu, der mit Dr. Schwab aus dem Bunker kroch. Er hob die Hand forsch zum Hitlergruß. Seine Stimme dröhnte über den stillen Platz. Es war, als hielten die Hunderte Menschen den Atem an.
    »Parteigenosse Gerholdt?«
    »Ja –« sagte Gerholdt stockend.
    »Auf Befehl des Reichsführers SS überbringe ich Ihnen dreihundert Arbeiter aus dem KZ

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