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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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flüchten?
    In Angerburg saß Freifrau v. Knörringen jeden Abend hinter dicken Plüschvorhängen vor dem leise gestellten Radio und hörte den Londoner Sender. Sie wußte, daß darauf die Todesstrafe stand, aber sie hörte ihn doch, weil die Meldungen aus London den Stand der Dinge wiedergaben, wie sie in Wahrheit lagen.
    Die sowjetrussische Armee des Marschalls Konjew im Anmarsch auf Litauen. Marschall Sokolowski bricht bei Warschau durch. Deutsche Truppen werden an der Südfront nach Ungarn weggedrängt!
    Gauleiter Koch im Reichssender Königsberg: »Königsberg wird eine Festung sein, die nie kapitulieren wird! Sie wird das Fanal des Sieges werden! Es lebe der Führer!«
    Durch die Straßen der ostpreußischen Städte ziehen die Volkssturmmänner. Greise und Kinder. Mit Karabinern, Beutewaffen aus Belgien und Holland, deren Schlösser klapperten und deren Läufe ausgeleiert sind. Vereinzelte Panzerfäuste, vor denen die Träger mehr Angst haben als die Russen. Hitlerjungen exerzieren. Sie lernen robben und Handgranaten werfen. Der Krieg der Kinder und Greise beginnt. Der schmutzigste Krieg der deutschen Geschichte.
    Durch Angerburg rollen die Kolonnen der deutschen Wehrmacht. Zuerst die Zahlmeister und rückwärtigen Truppen, dann die Lazarette. Dazwischen braune Uniformen. Angstschlotternd, in den Händen Marschbefehle, die ein guter Freund ausstellte: Wegen Aufbau rückwärtiger Auffangstellungen in Marsch gesetzt nach …
    Ein Name, den keiner kennt. Sie landen in Berlin. Oder in Flensburg. Oder in Hamburg. Ohne Uniform, denn die Zivilkleider schleppten sie in einem Handköfferchen mit.
    Gauleiter Koch im Reichsrundfunk Königsberg: »Die Partei ist das Rückgrat des totalen Widerstandes!«
    Der Russe kommt! Der Russe kommt!
    Er steht schon vor Riga! Noch hält die Front. Generalfeldmarschall Schörner steht hinter der Truppe und schießt auf jeden, der sich entfernt.
    In Angerburg werden die Koffer gepackt.
    Das Ehrenmal bei Tannenberg wird zur Sprengung vorbereitet. Der Sarg mit den sterblichen Überresten Hindenburgs wird nach Westen geschafft. Die Kadetten in der Marienburg lernen nicht mehr grüßen und Generalstabstaktik, sondern das Einrichten von Verteidigungen und den Aufbau einer Festung.
    Lazarettzug nach Lazarettzug rollt nach Westen. Eine unübersehbare Schlange des Leides, des Stöhnens, des Sterbens, der durchgeeiterten Papierbinden. Es gibt keinen Mull mehr. Es gibt kaum noch Morphium. Wenn sie sich heiser geschrieen haben, hören die Kerle von selbst auf!
    Frau v. Knörringen hört den Londoner Rundfunk. »Unsere sowjetischen Freunde auf dem Anmarsch auf Memel. Marschall Konjew sagt in einem Interview mit dem Vertreter von AP: Weihnachten feiern wir an der Oder!«
    Gauleiter Koch in einem Interview mit dem ›Angriff‹: »Wir werden die Halbaffen wegjagen wie streunende Hunde!«
    Frau v. Knörringen schreibt an Frank Gerholdt nach Düsseldorf:
    »Lieber Herr Gerholdt!
    Die Front kommt immer näher. Ich kann es nicht mehr verantworten, Rita in Angerburg zu lassen. Soll ich sie zu Ihnen zurückschicken? Wollen Sie sie abholen? Bitte geben Sie mir telegrafisch Bescheid, was mit Rita geschehen soll.
    Ihre Frau v. Knörringen .«
    Der Brief – sogar als Eilbrief aufgegeben – kam mit dem Postwagen bis Stettin. Dort wurde er umgeladen und sollte über Berlin nach dem Westen reisen. In der Nacht verbrannte er mit dem ganzen Zug unter den Phosphorbomben alliierter Bombengeschwader.
    Rita blieb in Angerburg. Frank Gerholdt baute seine unterirdische Fabrik, verbissen, dem Schicksal trotzend, das ihn wieder zu Boden geworfen hatte.
    Die Kurlandarmee war eingekesselt. Links und rechts von Riga brach der Russe durch … er überschritt die vereiste Memel, er rückte zur Grenze Ostpreußens vor. Tilsit wurde geräumt, über Gumbinnen und Insterburg fluteten die langen Elendszüge der Flüchtlinge durch den Winter nach Westen.
    Der Russe kommt! Der Russe! Die Vernichtung, die Schändung, der Tod … das vollkommene Ende …
    In Königsberg wurden Straßensperren errichtet. Gauleiter Koch meldete dem Führer stolz die Bereitschaft der ›Festung Königsberg‹, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen! Der letzte Atemzug bestand aus Pimpfen und Greisen, aus Verwundeten und demoralisierten Truppen, die kopflos zurückfluteten und, von besonderen Kommandos aufgefangen, wieder an die Front geworfen wurden und dort verbluteten.
    Frau v. Knörringen, nach den letzten Meldungen des Londoner Rundfunks genau über den

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