Schicksal des Blutes
ein, die sie ihr anfangs um die Ohren gehauen hatte, und die sie verwirrt hatten. Aziza hatte sie nach dem größten Schatz gefragt. Wahrscheinlich suchte sie schon so lange und so verzweifelt nach ihrem Ehemann, sie konnte gar nicht anders, als jeden zu löchern, um nichts unversucht zu lassen. Als hätte sie Amys Gedanken gelesen, nickte Aziza.
„Ich suche nach allem, was das wertvollste Gut auf Erden sein könnte. Mein einziger Anhaltspunkt, um Jitu zu finden. Er sagte mir im Morgengrauen, er würde an den geheimen Ort zurückkehren, wo er das Manuskript gefunden hatte, aber früh abends zu mir zurückkommen, um meinen Ehrentag mit mir zu feiern. Ich sah ihn nie wieder. Er verschwand und niemand wusste, wo er war. Ich fragte weiß Gott jeden, den er kannte, dann jeden, dem ich auf meiner Suche begegnete, ich ließ ihn durch Schattenwandler im Jenseits suchen und durch Gargoyles im mentalen Bereich. Keine Spur. Er schien wie vom Erdboden verschluckt. Ich spürte ihn nirgends, doch ich weiß, er ist nicht tot. Dann begann ich aufgrund seines Hinweises jedes Buch in jeder Bibliothek zu lesen und sei sie noch so klein oder das Buch noch so geheim. Wissen ist Macht. Doch niemals fand ich einen Hinweis auf meinen Mann.“
Das höchste Gut war also auch ihrer Meinung nach Wissen. Nyl schien ihren Gedanken zu folgen.
„Weshalb lässt du dann den Kontinent umgraben?“
„Nach vier Jahrhunderten der Suche war ich schier am Verzweifeln. Ich klammerte mich an jedweden Strohhalm, wie die Menschen zu sagen pflegen. Jitu sagte: Afrika hält ihn in seinem Schoß, tief verborgen. Deshalb begann ich, in tief verborgenen Regionen zu forschen. Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich hoffte, ihn irgendwo zu spüren, ihm näher zu kommen, doch nirgends in Afrika war dies der Fall.“
Die abgrundtiefe Verzweiflung, die aus Azizas Worten sprach, erdrückte Amy beinahe. Der Engel rückte in den Hintergrund, obwohl es auf irgendeine verzwickte Art mit all dem zusammenhing. Vermuteten ihr Bauchgefühl und die Angst, die sie versuchte, zu verdrängen. Irgendwie war sie Teil eines großen Ganzen geworden, ohne das wirklich zu wollen oder glauben zu können.
„Weiter“, forderte Nyl seine Mom auf. Amy wusste, er brannte darauf, zu erfahren, wer sein Vater war. Aziza log nicht, sie glaubte tatsächlich, Jitu wäre Nyls Dad, aber wie konnte das möglich sein?
„Mitte des 19. Jahrhunderts begann ich, mein Dasein zu hassen. Jitus einmaliger Geschmack verblasste nicht, sondern meine Sehnsucht nach ihm wuchs von Tag zu Tag. Ich verzweifelte, gab langsam die Hoffnung auf, ihn jemals zu finden. Dann, im Frühjahr 1878, träumte ich so intensiv wie noch nie von Jitu. Es war, als wäre er bei mir. Wir liebten uns wie in unserer letzten Nacht, bevor er verschwand. Er sprach zu mir, wünschte sich einen Sohn und er sollte Ny’lane heißen. Ny’lane Bavarro, sein Erbe.“ Aziza schluchzte herzzerreißend auf. „Einige Tage später spürte ich, dass ich schwanger war und am 12.12.1880 gebar ich dich, Ny’lane, in Alexandria und ich wusste, Jitu hatte mir damit das Leben gerettet und dir deines geschenkt. Du hast seine besonderen Augen, seine Statur. Auch sein ruhiges, besonnenes Gemüt hast du vererbt bekommen. Leider verblasste es durch deine Sucht. Ach, hättest du mich doch nur nicht kurz nach deiner Wandlung verlassen …“
Amy sah Ny’lane an. Sie hatte viel über ihn erfahren wollen, doch nun kam sie sich wie ein Eindringling vor. War Nyl vor seiner Sucht ein anständiger Mann gewesen? Wie war er bloß zum Tribor geworden? Hatte er einfach mal die Beherrschung verloren? Das glaubte sie kaum. Seine nächste Frage überraschte sie, weil sie annahm, er wäre mit völlig anderen Gedanken beschäftigt.
„Weshalb vertraust du Amy plötzlich? Warum sollte sie all die Dinge hören, die sogar für mich unfassbar sind?“
Aziza huschte zu dem Pult und verdeckte das Manuskript sorgfältig mit dem Tuch. In dem Dämmerlicht konnte Amy ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. „Deine Frage verwundert mich, schließlich wittere ich dein Blut in …“
„Stopp!“, knurrte er. „Reicht. Genug für heute. Ich bringe dich ins Gästezimmer, Amy. Du musst sehr müde sein. Gute Nacht, Mom.“
Nyl schnappte sich ihre Hände, zog sie auf die Beine und hinter sich her, die Treppe rauf. Er öffnete die Zimmertür, ließ sie ein und schloss sie ohne ein weiteres Wort.
Sprachlos starrte Amy die Tür an.
~ ~
Haha! Endlich geht’s zur
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