Schicksal des Blutes
seinem Wallach im gestreckten Galopp über die nasse Wiese preschte, dankte Ny’lane es Gott, aber er hätte nicht weiter fehlen können. Nyl liefen heiße Tränen über die Wangen, als er mit ansehen musste, wie er seine Tochter brutal ohrfeigte und sie als das Niederste bezeichnete, das es in seinen Augen gab. Er ordnete zusätzliche Hiebe an, um sie zur Besinnung zu bringen und verhüllte danach sein Gesicht. Ein anderer kam mit brennender Fackel auf Ny’lane zu und zündete das Holzkreuz unten an. „Für Gott, die Rasse und unser Land.“ Als er anfing, die Schar der vermummten Männer zu verfluchen, zogen sie sich feige ins Gemeindehaus zurück.
Nyl brüllte, als das Feuer an seinen Füßen leckte, doch nicht vor Schmerz, sondern vor Seelenpein. Gott sei Dank war Elisabeth bewusstlos. Er dachte daran, sich verbrennen zu lassen, doch zu viel Hass brodelte in ihm. Er verbannte all seine Gefühle in die Tiefen seiner höllischen Existenz, harrte aus, bis der Holzpfahl lichterloh brannte, bis er brannte, dann beschwor er all seine verbliebenen Kräfte herauf und brachte das verkohlte Holzkreuz zum Kippen, brach es am unteren Ende. Er kam auf den tauben Füßen auf, hielt den dicken, schweren Stamm auf dem Rücken umklammert und rannte mit ihm durch die Tür ins Haus. Augenblicklich fing das Strohdach Feuer. In wilder Raserei schlug er alle Männer nieder, die mit ihren Frauen beim Abendessen saßen. Er band Elisabeths Schänder an die Schandpfähle vor dem Haus und zwang jeden einzelnen, dabei zuzusehen, wie er dessen Frau die Kleider vom Leib riss und ihr in den Hals biss. Er entweihte die Frauen, indem er nackt wie Gott ihn schuf, von ihrem Blut trank, bis sie geschwächt in den Dreck sanken. Jedem der Männer brach er eine Hand.
Seine Schwäche verging, seine grausamen Wunden heilten rasch durch das viele weibliche Blut. Am ganzen Körper zitternd kam ihm zu Bewusstsein, dass es jetzt nur noch eines zu tun gab. Elisabeth zu retten, die nicht mehr bewusstlos am Pranger hing. Jemand musste sie mitgenommen haben. Ihr Vater! Er würde mit ihr fliehen, sofort. Niemand konnte ihn mehr aufhalten, außer sie wollte ihn nicht mehr, fürchtete sich vor ihm. Er würde ihr die Wahl lassen, doch er zweifelte keine Sekunde an ihrer oder gar seiner Liebe. Sie hatte für ihn gelogen und gelitten und er würde sein Leben geben, um das wiedergutzumachen.
Er jagte durch die Gärten, bis er sich dem Haus der Evans näherte. Der Geruch von Elisabeths Blut umwehte ihn, lockte ihn plötzlich unbarmherzig und auf schaudernde Weise gierig lüstern. Seine Fänge fuhren aus, obwohl er für Tage satt sein müsste. Sein Glied schwoll vor maßloser Lust an. Seine Finger bogen sich zu Klauen.
Die Erkenntnis überkam ihn wie Blitzeis. Er gefror zu einer Eissäule. Sein Herz zerbrach, als sein Verstand ihm sagte, was geschehen war. Er war zu dem brutalen Raubtier geworden, das er immer verabscheut hatte. Er hatte keine Wahl mehr, ihr die Wahl zu lassen. Er würde ihre Wünsche nicht mehr berücksichtigen. Er würde sich wie ein wildes Tier benehmen, das sich stets nahm, was es begehrte. Und er wollte Elisabeth, mit Haut und Blut.
Ny’lane warf noch einen Blick zu dem Fenster am Pekannuss-Baum hinauf, wandte sich ab, wandte seinem bisherigen Leben den Rücken und begann mit geballten Fäusten und gebrochenem Herzen seinen Weg hinab in die Finsternis.
Ein Jahr später kniete er tief in der Nacht als Tribor an ihrem Grab. Elisabeth hatte mit 24 Jahren den Freitod gewählt.
~ ~
Ny’lane betrachtete Amys entspanntes Gesicht im silbrigen Mondschein. Während sie gemeinsam seine Erinnerung durchlebten, hatte er sie zum Strand getragen. Nun saß er im Schneidersitz zwischen den letzten Farnriesen im weißlich schimmernden Sand, hielt Amy auf seinem Schoß im Arm und wusste, er sollte sie loslassen, sie absetzen, sie nicht weiter berühren. Doch es fühlte sich zu gut an, sie dicht bei sich zu wissen, ihren Duft zu inhalieren und ihren Atem zu spüren. Ihr war nicht bewusst, was sie ihm mit ihrem Blut angeboten hatte, das war ihm klar. Dennoch berauschte der Gedanke, verwirrte, ängstigte ihn. Er brauchte sie noch viel mehr als sie ihn. Und hätte er nicht erst kürzlich in ihren Kopf geblickt, wüsste er nichts von ihrem Hass auf ihn, würde er … Würde er tatsächlich? Durfte er ihr, für die er so viel Respekt und Zuneigung empfand, das antun?
Amy glitt behutsam aus seiner grausamen Erinnerung und öffnete die Lider. Ein
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