Schicksal des Blutes
Tochter, Rosalie, bevor sie sich das Leben nahm.“
„Meine Uroma“, flüsterte Amy. „Rosalie gebar Elfriede und Elfriede Grace, meine Mutter.“
Amy schien in ihren Gedanken versunken und er betrachtete sie eine Weile im milchigen Schein. Tiefe Furcht wühlte sein Inneres auf. Nun verstand Amy allmählich, er hatte ihrer Familie Leid zugefügt. Gleich würde sie von ihm verlangen, sie zurückzubringen nach San Francisco, würde nur weg von ihm wollen. Es war nicht nötig, Amy all seine weiteren schrecklichen Taten, die nach 1922 folgten, auch noch aufzubürden. Er hatte erreicht, was er beabsichtigt hatte. Sie zog sich freiwillig zurück. Der unsägliche Verlust schmerzte ihn bereits und er bemerkte erst, dass er ihre Wange streichelte, um sie ein letztes Mal zu berühren, als sie ihn auf einmal strahlend ansah. Verwirrt zog er die Hand fort.
„Du hast Elisabeth von deinem Blut gegeben. Oh mein Gott! Ich habe etwas von deinem Blut in mir! Deshalb habe ich diese Antenne für Wesen, deshalb spüre ich, ob es ein Gargoyle ist oder nur ein dämlicher Stein. Ha!“
Sie warf juchzend die Arme in die Luft und stürzte nach vorn, geradewegs in seine Arme, umschlang ihn und überflutete ihn mit ihrem Glück. Er hatte nicht geahnt, wie sehr es ihr zu schaffen machen musste, nicht zu wissen, woher diese Empfindungen für Wesen kamen. Sie schien unendlich erleichtert zu sein, jetzt den Grund zu kennen. Vielleicht hatte sie geglaubt, verrückt zu werden oder zu sein. Ein Unheil mehr, das er unbewusst angerichtet hatte, aber es verblasste hinter den überschwänglichen Emotionen, die Amy mal wieder wie ein Blizzard in ihm auslöste. Er drückte sein Gesicht in ihre Halsmulde und umarmte sie fest.
„Sind wir deshalb füreinander bestimmt?“
Er versteifte sich. Wie kam sie denn darauf? Sie konnte aufgrund des wenigen, verwaschenen Vampirblutes in ihren Genen doch nicht derart empfinden wie er. Das war unmöglich. Oder doch nicht? Er lebte in ständiger Angst, sich zu vergessen, bei irgendetwas die Kontrolle zu verlieren, aber seine tief empfundene Zuneigung zu Amy versicherte ihm, nicht fähig zu sein, ihr ernstlich zu schaden. Doch durfte er das riskieren? Was, wenn doch? In ihm herrschte das reinste Chaos.
Ohne ein Wort hob er sie auf die Arme. Amy entwich ein erschrockener Laut, der in ein nervöses Kichern überging, als er schnurstracks auf das glitzernde Meer zuging.
„Was hast du vor?“, flüsterte sie.
Ihr Puls hämmerte rasch, pochte in ihren Kniekehlen, rauschte lauter als die donnernden Wogen des Atlantiks in seinen Ohren.
„Ich werde jetzt deine Wunden schließen. Jede einzelne. Aber zuvor müssen wir sie kurz einweichen und reinigen.“
Amy sah zu ihm auf, leicht skeptisch, aber entspannt. Er war nicht sicher. Sie wohl auch nicht, deshalb setzte er hinzu: „Du sollst keine Schmerzen haben. Du erträgst sie schon viel zu lange.“ Er schritt bis zu den Oberschenkeln ins Wasser, dessen Wellen an Amys Rücken schwappten und ihr Kleid durchnässten.
„Reizt dich mein Blut so sehr?“, fragte sie leise.
Nyl ging nochmals in sich und spürte, wie sich ein warmes, wohliges Lächeln in ihm ausbreitete und sich auf seinem Mund sammelte. „Der Duft deines Blutes berauscht mich, lockt mich mit lüsterner, übermenschlicher Macht, doch mein Wunsch, dir Linderung zu verschaffen, überlagert meine Gier, dich zu beißen.“
Amy schloss kurz die Lider und lächelte auf unendlich süße Weise. „Wie schon in deinem Zimmer im ‚Ekstase‘.“ Sie lehnte den Kopf vertrauensvoll an seine Schulter.
Amy war immer noch bei ihm, war nicht gegangen. Er schluckte. Ein Geschenk, das er zurückgeben wollte. Das Mondlicht fiel blass in ihr Gesicht und er wusste, er würde niemals wieder eine andere Frau betrachten wollen als Amy.
~ ~
Nyl trug sie vorsichtig wie etwas Kostbares zurück an den Strand. Aus ihrem Kleid und seiner Kleidung lief das Wasser, ihre Wunden brannten ein wenig, doch sie wusste, die Reinigung hatte gutgetan. Er legte sie sanft in den von der Sonne noch warmen Sand und betrachtete ihren Körper. Ein behagliches Kribbeln überfuhr sie, der angeklatschte Stoff verriet jede Rundung.
„Schließ die Augen.“
Amy blinzelte. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, weil der Mond in seinem Rücken stand, sein Antlitz ins Dunkel getaucht. Seine mächtige Silhouette zeichnete sich beinahe bedrohlich ab, die breiten Schultern, die zu einer kräftigen Brust führten, weiter zu einer schmalen
Weitere Kostenlose Bücher