Schicksal des Blutes
wieder gutes Wetter und die Aufräumarbeiten verliefen bisher ohne größere Schwierigkeiten. Jedoch war die Zahl der Opfer auf 145 angestiegen – allein in den USA. Das war erschreckend, vor allem, weil sie es immer noch nicht ganz in ihren Kopf bekam. Ein Engel, ein weißer, lieber, flügelschlagender Bote Gottes, sollte so etwas verursacht haben? Sie war nie gläubig gewesen, selbst wenn die Predigten ihrer Lehrer und Erzieher ihr bis heute in den Ohren klangen. Das Letzte, das sie vor der Besetzung der Dämonin mitbekommen hatte, war der grausame Angriff auf Cira und die Zerstörung des wundervollen Baker Schlosses. Wie durch ein Wunder war nur der nette Gärtner Greg verletzt worden. Und jetzt behauptete Cira, dass auch dies auf das Konto eines gefallenen Engels ging, der es auf sie als Menschenfrau abgesehen hatte. Gegenwärtig war er wohl stocksauer, weil Cira ein Vampir und sie somit irgendwie unbrauchbar für ihn geworden war. Nun ja, sie sollte eigentlich nichts mehr überraschen, seitdem sie mit dem Schattenwandler Byzzarus eine Weile verbracht hatte. Die tief greifenden Gespräche mit ihm fehlten ihr; er fehlte ihr. Byzz war etwas Besonderes. Gentleman durch und durch, wenn man nichts tat, was seine Tarnung in der Öffentlichkeit gefährdete. Amy lächelte und schickte Byzz einen lieben Gruß. Sie wusste ja, dass er nicht wirklich tot war, sondern im Jenseits lebte, befreit von seinem ihm aufgezwungenen Leben im Diesseits, um an seiner Mörderin Rache zu üben.
Amy schloss die Augen und schwelgte in Erinnerungen, bis ein Bericht über eine durchgeknallte Prominente, die meinte, von Gott verführt worden zu sein, Amy an ihren Traum erinnerte. Oder hatte sie es gar erlebt? Vielleicht fühlte sich sterben gut an und nicht, wie sie immer gedacht hatte, schmerzlich und traurig. Sie entsann sich hauptsächlich daran, sich geborgen und geliebt gefühlt zu haben und an … hatte sie wahrhaftig von Sex geträumt, als sie starb? Amy entwich ein schräges Kichern, nervös und ein wenig verärgert, weil Nyl sie inzwischen schon viel zu lange warten ließ.
Amy packte den Türgriff und zog. Die Tür blieb verschlossen. Groll stieg in ihr auf. Sie schürzte die Lippen und rutschte über die breite Sitzbank zur anderen Seite. Ebenfalls zugesperrt. Amy schlug mit der Faust auf das Leder. „Verfluchter Mistkerl!“
Sie betätigte die Sprechanlage zum Fahrer, bat um das Öffnen der Türen, um das Herunterfahren der Trennscheibe. Nichts. Mit den Fingerknöcheln klopfte sie gegen die schwarze Scheibe, bis sie wehtaten. Langsam reichte es ihr. Sie öffnete ihre Handtasche und holte die winzige Damenpistole hervor. Mit beiden Händen richtete sie diese auf ein Seitenfenster, doch sie senkte sie zögerlich. Wenn es sich um Panzerglas handelte, würde die schwache Pistole womöglich nichts ausrichten. Vielleicht prallte die Kugel sogar zurück. Auf die Trennscheibe wollte Amy nicht schießen. Die Patrone könnte durchschlagen und in jemandes Kopf stecken bleiben.
Warum ließ Nyl sie hier sitzen? Ohne Erklärung. So lange. Ließ er sich auf der Straße in der warmen Meeresbrise einen blasen oder betrank sich in einer Strandbar? Amy verstaute die Waffe in der Tasche und wühlte dahin herum, bis ein Schlüsselbund, eine Nagelschere und Büroklammern auf dem Sitz lagen. Nicht umsonst hatte sie tagelang mit dem Polieren von Brandons Protzkarren verbracht. Sie war nicht von irgendjemandem dazu verdonnert worden. Nein, sie fühlte sich in der Gegenwart des alten Chauffeurs ihres Dads wohl und freute sich, wenn sie ihm zur Hand gehen durfte. Seitdem konnte sie nicht nur ein Rad oder das Öl wechseln.
Mit geschickten Fingern suchte sie die Verkleidungen nach der Steuerung ab. Unter einem befestigten Seitenpolster fand sie die Sicherungen und ging vorsichtig ans Werk. Sie beabsichtigte schließlich nicht, die Alarmanlage auszulösen, die dieser Schlitten ohne Frage hatte. Aber entweder war sie aus der Übung, die Karre zu neu oder die Drähte dienten nur dazu, im Innenraum allerlei sinnlosen Kram wie Getränkehalter, Schwarzlicht, Musik und Liegeflächen zu steuern. Als sie entnervt aufgeben wollte, durchschnitt sie ein versteckt liegendes Kabel auf gut Glück und die Trennscheibe fuhr herab.
Metallischer Geruch verschlug ihr augenblicklich den Atem. Doch anstatt in Panik auszubrechen, weil der intensive Blutgeruch nur Grausames bedeuten konnte, schaltete sich endlich wieder ihr Gehirn ein. Sie griff rasch nach ihrer
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