Schicksal des Blutes
ruhigen Wesen. Den Totenkopf, der seine Stirn seit seiner Verurteilung durch die Fürsten zierte, verdeckte er unter einer schwarzen Bandana.
Timothy richtete sich auf und strich sich die schulterlangen, blonden Wellen zurück. „Amys Penthouse ist leer und Ny’lanes Privatjet hat vor vier Stunden San Francisco Richtung Bahamas verlassen.“
„Meinst du, sie ist bei Nyl sicher?“
Timothy schaute kurz überrascht auf sie herab. „Ich kenne Nyl zu wenig, um mir ein Urteil über ihn zu erlauben. Aber ich dachte, du und Jonas, ihr würdet ihm vertrauen.“
„Tue ich“, sagte Cira, doch als Sam sich ihr zuwandte, wusste sie, dass ihre Tochter ihre wankenden Gefühle deuten konnte. „Ich glaube, niemand durchschaut Ny’lane wirklich, der sich hinter der Maske des ‚Silver Angels‘ versteckt. Aber ich hätte Amy nicht in seine Obhut gegeben, wenn ich ihm nicht trauen würde.“
„Du meinst, im Herzen ist er ein guter Drogen- und Blutdealer?“, fragte Sam mit bedenklicher Miene.
„Gibt es so etwas?“, schob Timothy hinterher.
Cira zuckte mit den Schultern, kramte ihr Handy heraus, doch Amy hatte nicht angerufen.
Sam wickelte sich aus ihrer Decke. „Ruf sie an. Ich geh mir was zu essen machen und setze den Kerl vor die Tür, der meint, unsere Zweisamkeit stören zu können.“
Timothy verschwand hinter Sam im Flur. „Können Sexgötter das nicht?“, hörte Cira Timothys zufriedenen Bariton mit ihrem vampirischen Gehör. Sie lächelte traurig. Ein wenig Normalität tat ihnen gut, Abstand von den schrecklichen, unglaublichen und unheilvollen Entwicklungen der vergangenen Zeit. Cira drückte die Kurzwahl, doch Amys Smartphone war abgeschaltet. Sie ließ das Handy sinken. Trotz ihrer Stärke als Vampir, trotz ihrer Macht als Hüterin vermochte sie es nicht, mit Amy in Verbindung zu treten. Ob es ihr gut ging? Bestimmt schlief sie, während Nyl sie sicher über die Wolken flog. Vertraute sie Nyl wirklich? Er beherrschte es meisterhaft, seine Gefühle zu verbergen, was Jonas bestätigt hatte.
Sie drehte das Handy in der Hand. Amy war die Starke von ihnen beiden. Das war sie immer gewesen. Sogar schon, als sie sich vor zehn Jahren beim Joggen kennenlernten und die sieben Jahre jüngere angehende Studentin Amy ihr zeigte, wo es langging. Mann, Amy war eine verdammt mutige Heldin, auch wenn niemand außer einer Handvoll Personen davon wusste. Ihren Zusammenbruch am heutigen Morgen konnte sie dennoch mehr als verstehen. Zum Glück hatte sie Amy später am Telefon einiges von dem, was mit ihr passiert war, erklären können. Amy hatte sich bereits vieles zusammengereimt, wie es ihre Art war, an Rätsel heranzugehen. Sie füllte durch logisches Kombinieren die Lücken in ihrem Gedächtnis, die durch die Körperbesetzung der Dämonin Lilith entstanden waren. Amy ging das Problem an und verkraftete das ganze Geschehen recht gut. Hoffte sie zumindest.
Cira spürte, wie ihre Fänge leicht im Oberkiefer vibrierten, weil sie die Zähne aufeinanderpresste. Sie drückte eine Kurzwahl, doch auch Ny’lanes Handy verweigerte ihr die Chance, auf die Mailbox zu sprechen.
Sam setzte sich aufs Sofa, wickelte sich in die Decke und knabberte an einem Bagel mit Sesam. „Wo bist du gerade unterwegs?“
Sam meinte ihre Aufgabe als Sternträger. Sie hätte die Frage nicht gestellt, wenn Timothy das Hausboot nicht bereits verlassen hätte und außer Hörweite wäre. Ansonsten hätte Cira sowieso keinen Ton über die Sternträger oder die Fürsten über die Lippen gebracht. Das Geheimnis wurde durch mächtige Magie bewahrt. Nur untereinander konnten sie darüber reden. „Ich habe eben einer älteren Dame die Erinnerung an eine Gruppe Nesuferiten genommen, die sich unter ihrem Fenster an einem jugendlichen Liebespaar vergriff.“
„Jetzt würde mich interessieren, wer die Nesus dafür bestraft“, überlegte Sam.
„Hm …“ Das hatte sie sich auch schon gefragt. „Wollen wir hoffen, mit unserer Arbeit bald Wirkung zu erzielen. Die Wesen müssen sich an die Gesetze halten.“
„Hoffen wir’s, ja. Wo ist Jonas?“
„Er wollte nach den Kindern von Fay sehen.“ Die jungen Gestaltwandler hatten erst kürzlich ihren Vater Lex-Vaun verloren, der ebenso wie Jonas’ Vater Diandro ein Sternträger gewesen war. Und als wäre das nicht schlimm genug, verstarb ihre Mutter Fay Havelland vor wenigen Tagen, als sie ihnen half, den Sternring ihres Mannes aufzuspüren. Cira seufzte.
„Wo wollt ihr eigentlich wohnen? Das Schloss
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