Schicksal des Blutes
irgendwer auch noch ihre letzte Wasserreserve aus ihr hinaus. „Aufwachen!“, sagte sie leise mit zusammengebissenen Zähnen. „Aufwachen!“
Das Smartphone in ihrer Handtasche kündigte den Eingang einer SMS an. Kaum flogen ihre Finger über den Touchscreen, trudelten weitere Kurzmeldungen und Mai l box-Eingänge ein. Hauptsächlich von Cira, aus deren immer eindringlicher werdenden Bitte , sich zu melden, sie schließen konnte, dass ihre Nachrichten an sie nicht durchg e kommen waren. Super, das hatte sie bereits befürchtet. Sogar Jonas hatte eine Nac h richt hinterlassen. Er sagte, Ny’lane habe sich gemeldet und meine, es gehe ihr gut. Ihm sei bewusst, dass es im ‚Ekstase‘ keinen Empfang gebe , doch sie solle sich trot z dem rasch bei Cira melden. Und er rief e nur an, falls Nyl es vergessen haben sollte, es ihr auszurichten. Amy biss sich auf die Lippe. Arschloch! Allmählich überwog ihr Ä r ger über Ny’lane von und zu Bavarro und dämmte das dämliche Lustempfinden g e waltig.
Der Fahrer hielt am überdachten Haupteingang zum internationalen Flughafen Na s sau. Amy bezahlte den Taxifahrer großzügig und stieg aus. Cira sorgte sich immer viel zu sehr um ihre Mitmenschen, aber Jonas? Warum bat er um Rückruf? Machte Cira ihm die Hölle heiß, nervte sie ihn mit ihrer Besorgnis? Nein, so hatte Jonas nicht g e klungen. Außerdem wüteten Gefühle meist tief in Ciras Innerem und sie ließ sie zöge r lich, wenn überhaupt, hinaus. Dazu kannte sie ihre Freundin zu gut. Außer … Cira meinte, ihre Angst wäre begründet, beruhte auf Fakten. Jonas hatte sich angehört, als wäre auch er besorgt. Aber Cira hatte ihr Nyl doch als Bodyguard geschickt, wie sie ihr während des Telefonates versichert hatte, das sie noch in San Francisco aus seinem Bett heraus geführt hatte. Und Jonas und Ny’lane waren Freunde. Oder?
Amy sah sich in der bereits belebten Halle um. Kein Vergleich zu den riesigen und unübersichtlichen Flughäfen, die sie gewohnt war. Es blieben noch gute drei Stunden bis zum Check-in, also steuerte sie in ein Café und bestellte einen großen Latte ma c chiato und einen Caffè corretto zum Wachwerden und um sich zu beruhigen. Sie rümpfte über ihre paradoxen Gedanken die Nase, schob ihre lästigen, lüsternen und konträren Emotionen Nyls Körperbau zu und wählte Cira an. Sie würde sie aus den Federn werfen. Aber der Rückruf war wichtiger, als … Amy schloss kurz die Augen. Cira brauchte ja keinen Schlaf mehr. Sie war ein Vampir.
„Hey, Süße, ich bin’s.“ Amy hielt das Smartphone ein wenig von ihrem Ohr weg, weil Ciras Stimme schrill und laut klang. „Natürlich geht es mir gut. Spielst du jetzt meine Mutter?“ Cira schwieg plötzlich und Amy überfloss ein Schwall schlechten G e wissens. Sie hatten niemals über ihre Mom Grace gesprochen. Das war ein Tabuthema, genauso wie es Ciras Kind zwischen ihnen gewesen war, bis Jonas das Geheimnis aus Ciras Vergangenheit gelüftet hatte. Sie konnte Cira verstehen, es niemandem erzählt zu haben, weil sie selbst einiges nicht über die Lippen brachte. Nicht einmal bei ihrer besten Freundin, obwohl sie sie über alles auf der Welt liebte. Oder wahrscheinlich deshalb. Sie wollte Cira nicht verlieren und ein Kind mit zwölf durch das Vergehen eines Stiefbruders zu bekommen wirkte im Vergleich zu hundertfachem Mord … Nein, das ließ sich nicht vergleichen.
„Entschuldige, Süße“, murmelte sie, „es waren harte Tage. Aber mir geht es gut“ , schob sie rasch erneut hinterher und lächelte über Ciras liebevolle Antwort. „Und, wie läuft’s bei euch so? Wie ist das Wetter? Wie hier, bewölkt, mal Regen, aber ganz gut. Nee , hier ists wärmer. Sogar nachts. Ich werde übrigens in drei Stunden nach Hause starten. Ja, ich freue mich auch. Wie geht’s Fire? Gut. Lieb von Greg. Wirklich. Doch, nein, danke, mir geht’s gut. Okay, dann bis heute Abend oder so. Küsschen.“
Amy legte auf und ließ die Hand auf den Bistrotisch sinken. Das war das dämlichste Telefonat, das sie jemals mit Cira geführt hatte. Warum bloß konnte sie ihr nicht von Ny’lane erzählen? Gott, sie hatten sich doch oft über Männer unterhalten. Nun ja, eigentlich hatte sie von Kerlen erzählt, mit denen sie etwas gehabt hatte oder die ihrer Meinung nach etwas für Cira wären. Gedankenverloren genoss sie den Espresso mit Grappa. War sie eifersüchtig, weil Cira ihr nicht von den Dingen berichtete, die sie mit Jonas und ihrer Tochter Samantha tat? Sie
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