Schicksal des Blutes
auseinanderbrechen.
Sie lag auf dem Rücken. Ihr Kopf dröhnte und ihr kam ständig Galle hoch, trotzdem dachte sie endlich wieder klar. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen sein könnte. Ihre Kleidung klebte an ihrem Körper. Schwüle Luft hatte ihr schon damals, während ihrer ersten brisanten Reportage, zu schaffen gemacht, obwohl sie acht Jahre jünger gewesen war und die Luftfeuchtigkeit im Irak nicht ganz so extrem war wie in Sierra Leone. Amy öffnete die verschwitzten Lider einen Spaltbreit. Gott sei Dank, sie befand sich allein auf der Ladefläche. Augenblicklich spülte Adrenalin durch sie hindurch und erweckte sie vollständig. Sie fühlte sich zwar elendig und erschöpft, aber sie war nicht verletzt. Außer einer Wunde am Hinterkopf, die pochte, weshalb sie versuchte, den Kopf hochzuhalten, damit bei jeder Bodenwelle nur ihre Wirbelsäule auf die Metallfläche krachte. Doch blaue Flecken waren ihre geringste Sorge. Ein Gestell aus Metall und Holz hielt eine Abdeckplane über den Innenraum des Kleinlastwagens. Durch winzige Löcher stach Licht wie Laserstrahlen. Ihre Handgelenke waren vor dem Körper mit Handschellen zusammengebunden. Zu eng, um hinauszuschlüpfen, selbst wenn sie sich den Daumen ausrenken würde.
Unter Journalisten prägte man sich ein, in Extremsituationen Ruhe zu bewahren, sich zurückzuziehen, Foto- und Kameramaterial zu verstecken oder abzugeben, um als ausländischer Tourist lebend aus der Geschichte herauszukommen. Leider hatte sie erfahren müssen, dass eine weiße Flagge im Krieg oft nichts nützte, sowie das Gegenüber ebenso außer sich vor Angst nur Rot sah oder in ihr einen Berichterstatter des Feindes vermutete. Ihre damalige, versierte Kollegin hatte sich bei den sogenannten Hauptkampfhandlungen im Irak Ende März 2003 stets vorbildlich und rücksichtsvoll verhalten, war aber dennoch nie wieder nach Hause zurückgekehrt. Sie würde auf keinen Fall abwarten, bis man sie in ein finsteres Verlies warf, um ihre Regierung zu erpressen oder um sich foltern zu lassen. Sie musste sofort handeln.
Amy wälzte sich auf die Knie und sprang auf die Füße. Sofort schleuderte es sie gegen die Seitenwand, an der sie sich an einer Querstange festklammerte. Bei dem Gerumpel würde der Fahrer den zusätzlichen Lärm nicht bemerken. Hoffte sie. Endlich fand sie ein Loch, in das sie ihren Mittelfinger bohren konnte. Sie riss daran, hängte sich schließlich mit dem ganzen Gewicht an ihren Finger, doch leider hielt die dicke Plane ihrer Kraft stand. Der Spalt vergrößerte sich nicht. Sie spähte hinaus, sah nur dichtes Grün vorbeifliegen. Wildnis. Sie hatten Freetown hinter sich gelassen und fuhren durch die landwirtschaftlich genutzten Waldgebiete. Schätzte sie.
Die hinteren Ladetüren waren von außen verriegelt. Verdammt! Amy setzte sich wieder, weil das Stehen während der bockigen Fahrt zu anstrengend war. In diesem Gefängnis herrschten sicher an die fünfzig Grad mit hundert Prozent Luftfeuchtigkeit. Ein Backofen. Sie ließ vor Erschöpfung kurz den Kopf hängen. Wie kam sie hier raus? Wenn Ny’lane doch in der Nähe wäre. Er würde einfach den Laster stoppen, das Schloss aus den Angeln reißen … Von wegen! Verlass dich auf andere und du bist verlassen!
Ihr Blick wanderte zu der spröden Holzverstrebung und den Handschellen. Sie sprang erneut auf die Füße, fiel zweimal zurück auf den Hintern, bis sie sich an der Querstange festhalten konnte. Sie ließ ihre zusammengeketteten Hände über das Holz wandern, riss sich ein paar Splitter in die Haut, bis sie einen langen Holzsplitter fand, den sie abbrach. Amy setzte sich mit dem Rücken an eine Wand, bog die Spitze des Holzstücks und begann, damit in dem Schlüsselloch einer Schelle zu bohren. In den Lagern, in denen sich Journalisten aus aller Welt während der Kriege einfanden, um andere auszuhorchen, ohne selbst etwas preiszugeben, lernte man so einiges. Von verliebe dich nicht in einen Kollegen, er könnte am nächsten Tag tot sein bis zu präge dir alles ein, was du erheischen kannst, es könnte dir morgen den Arsch retten.
Die ersten drei Hölzer brachen im Loch ab und es kostete Zeit und Nerven, ein neues zu besorgen und das abgebrochene Stückchen wieder zu entfernen. Der vierte Splitter hielt und entriegelte die Handschelle. Mit einem Schlucken unterdrückte sie einen emporkriechenden Freudenschrei, als der Wagen abrupt bremste.
Amys Puls donnerte in ihren Schläfen. Sie schlich zur Ladetür. Welche ging
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