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Schicksal des Blutes

Schicksal des Blutes

Titel: Schicksal des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Madea
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sicher! Er hörte, wie sie sich aus der matschdurchtränkten Kleidung schälte. Zuerst unterdrückte sie noch die Schmerzenslaute, dann ließ sie sie anhand von derben Flüchen hinaus. Ganz Afrika musste vor Scham die Hände über die Ohren legen. Woher hatte sie bloß solche Kraftausdrücke? Sie kam aus reichem Hause, verbrachte lange Zeit in einem strengen Internat, hatte studiert, die zurückhaltende Cira war ihre beste Freundin.
    Das Regenwasser fing an zu plätschern, lief aus den aufgebockten Tonnen hinter der Hütte und tropfte durch das provisorisch aufgehängte Sieb auf ihren nackten Körper. Er zählte die Tropfen, um sich abzulenken. Doch sein Hirn zeichnete aufgrund des Abstandes des Falles bis zum Aufschlag auf ihrer Haut ein genaues Bild vor sein inneres Auge. Er sah, wie sie sich mit einer Hand an der Hüttenwand abstützte, während sie mit der anderen ihre Oberarmwunde säuberte. Ein Kreuz baumelte an einer langen Kette von ihrem schlanken Hals hinab. Als sie das Gesicht nach oben wandte, meinte er, ihren Ausdruck zu erkennen. Zusammengebissene Zähne, qualvoll zusammengepresste Augenlider. Rasch zwang er sich, bis ans gegenüberliegende Ende der Baracke zu gehen und riss sich den Mantel von den Schultern.
    „Was tust du?“, drang ihre Frage durch die nicht wirklich blickdichte Schilfabtrennung. Den Schmerz in ihrer Stimme hatte sie erstaunlich gut unterdrückt, Skepsis überlagerte ihn.
    Er knurrte und hasste sich sogleich dafür. Es war gut, ihm nicht zu vertrauen, dennoch quälte es ihn. „Ich besorge dir etwas zum Anziehen.“ Sie antwortete nicht, duschte weiter. Plötzlich schrak er zusammen. „Amy?“
    „Hm?“
    „Du darfst das Wasser nicht trinken.“
    „Für wie blöd hältst du mich?“
    Diesmal antwortete er nicht. Ihm brannten tausend Fragen auf der Zunge, doch er würde sie erst stellen, wenn sie sauber, verarztet und endgültig sicher war. Er hoffte, sich so lange zurückhalten zu können. Nicht sich, die Fragen. Er fuhr sich über die Kopfhaut. Schwachsinn! Er würde sie für sich behalten.
    „Fertig“, murmelte sie. „Gib mir was zum Anziehen.“
    Er trat vor und reichte ihr sein schwarzes Seidenhemd hinter die Abtrennung. Es raschelte. Sie zog es an, ohne einen Kommentar. Als Amy hervorkam, wich er automatisch zurück. Ihr langes, welliges Haar lag dunkel über ihren Schultern. Sein Hemd war ihr viel zu groß und wiederum viel zu klein. Die Ärmel hatte sie hochgekrempelt. Es wirkte wie ein Kleid, ein Minikleid, versteht sich. Ihre Beine waren nackt und steckten in den grob gereinigten Turnschuhen. Er schluckte und wies auf einen Stuhl. Amy sah ihn argwöhnisch an. Er hatte felsenfest vorgehabt, den Jungen zu bitten, sie zu verbinden, aber er konnte sich nicht durchringen. Niemand durfte sie so sehen, gar berühren. Außerdem hatte er viel mehr Erfahrungen mit Verwundungen, auch wenn er sie noch niemals auf Menschenart verarztet hatte. Er legte den Arztkoffer auf den Tisch und zog sich Handschuhe über.
    Amy knöpfte das Seidenhemd auf.
    „Das reicht“, fauchte er, ohne hinzusehen.
    „Ich weiß schon, wo meine Wunden sind“, gab sie kühl zurück und zog das Hemd an der Schulter hinunter.
    Er versorgte den Streifschuss fachmännisch, dann die Platzwunde am Hinterkopf. Amy runzelte zwar immer wieder die Stirn, doch sie fragte ihn nicht, weshalb er sie nicht mit seinem Speichel versiegelte. Sie war zu stur … oder er. Nein, er wollte sie nur schützen … oder sich. „Wie sieht’s mit Impfungen aus?“, erkundigte er sich, um sich abzulenken, während er ihren Handballen verband.
    „Alles aktuell.“
    „Warum?“
    „Weil Journalisten in der ganzen Welt herumreisen.“
    Klatschreporter? „Hm. Wo zum Beispiel?“
    „Irak, 2003. Elfenbeinküste, 2004. Libanon, 2006. Israel, 2008. Pakistan, 2009. Da zum Beispiel.“
    Ny’lane wandte ihr den Rücken zu, um seine Überraschung zu verbergen und packte die Utensilien zurück in den Koffer. Ihm drehte sich der Magen vor Unverständnis und Bestürzung. All die Daten wiesen auf Krisengebiete, wenn nicht gar auf eskalierte Kriege hin. Wieso wusste er nichts davon und weshalb stürzte sich diese verrückte Frau andauernd in Lebensgefahr? Er hatte unter ihrem Namen nur Artikel gefunden, die eher in die Klatsch- und Tratschkategorie gehörten. Wie die, in denen sie über die Existenz von Wesen berichtete, als es noch niemand wahrhaben wollte.
    Amy stand auf, griff ihr Bündel Dreckwäsche und bewegte sich auf den Ausgang zu.

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