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Schicksal in seiner Hand

Titel: Schicksal in seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Thomas Bruckner
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wieder an. »Es ging der Patientin einmal recht schlecht, aber ich habe die Transfusion verboten, die Kollege Rademacher vorschlug. Sie sagen doch immer, daß man eine Transfusion nur im äußersten Notfall anwenden soll und …«
    »Es war ein Notfall, Herr Professor!« unterbrach Dr. Rademacher. »Nach der Transfusion ging der Kreislauf dann auch sofort wieder in die Höhe.«
    »Sie haben es gewagt …« Dr. Wagners Stimme überschlug sich vor Erregung.
    »Es war notwendig! Da habe ich es heimlich gemacht!« Dr. Rademacher zeigte auf seine Kurve. »Bitte, Herr Professor. Hier sank der Blutdruck ab. Der Kreislauf war völlig zusammengebrochen. Und hier …«, er deutete auf einen roten Pfeil, »habe ich die Transfusion angelegt. Von da an regulierte sich der Kreislauf wieder ein.«
    Professor Bergmann arbeitete schweigend weiter. Er schaute nicht ein einziges Mal auf. Niemand im Raum wagte es, ihn zu stören.
    Schließlich hatte er die letzte Naht gelegt. Er trat zurück und riß sich die Gummihandschuhe herunter. Dann zog er seinen Kittel aus. Der Oberarzt half ihm beim Abnehmen der Gummischürze. Mühsam stelzte er mit seiner Prothese zum Röntgenschaukasten, drehte das Licht an und studierte nochmals die Aufnahmen.
    »Ich würde immer wieder sagen, daß es sich um ein gutartiges Geschwür handelt. Ich finde keinen Anhaltspunkt für eine Krebsgeschwulst. Wenn die Drüse nicht den Befund ergeben hätte …«
    »Dieser neue Herr Bruckner hat eben Glück gehabt.« Dr. Wagner war händereibend neben ihn getreten. »Eine blinde Henne findet manchmal auch ein Korn. Ich würde ihm an Ihrer Stelle von der ganzen Sache nichts sagen. Mit meiner Verschwiegenheit können Sie selbstverständlich rechnen. Und die anderen hier im OP haben auch keinen Grund, es ihm mitzuteilen.«
    Lauernd schaute er den Chef an, aber Professor Bergmann schien überhaupt nicht zugehört zu haben.
    »Vielleicht sieht es in mir auch so aus.« Er faßte an seinen Leib. »Ich habe die gleichen Beschwerden wie diese Patientin.«
    Der Oberarzt wollte etwas sagen und diese Vermutung in Abrede stellen. Aber er sah am Gesichtsausdruck des ›alten Löwen‹, daß er eine Art Selbstgespräch geführt hatte.
    Lange betrachtete der Professor das Röntgenbild. Dann drehte er das Licht aus und ging mit schweren Schritten zur Tür. Hart schlug der Krückstock auf den Boden. Oberarzt Wagner folgte dem Chef.
    Vor der Tür seines Zimmers blieb Bergmann stehen. Er griff sich an den Hals und lockerte den Krawattenknoten.
    »Irgendwann müssen wir alle mal dran glauben, Wagner!«
    »Jawohl, Herr Professor.«
    Im gleichen Augenblick ärgerte sich der Oberarzt über seine Antwort. Sie war ihm routinemäßig herausgerutscht. Er suchte nach einem passenden, verbindlichen Wort.
    »Soll ich dem Protektionskind sagen, daß er die Poliklinik übernehmen soll?« fragte er schließlich, nur um überhaupt etwas zu sagen. Er sah an der Reaktion des Alten, daß er genau das Falsche gesagt hatte.
    »Nein!« grollte Bergmann. »Ich werde selbst mit diesem Bruckner sprechen. Stellen Sie bitte fest, wo er sich jetzt befindet. Ich werde ihm außerdem sagen …«
    »Sie wollen ihm doch nicht etwa mitteilen, daß er recht behalten hat?«
    In komischem Entsetzen streckte der Oberarzt beide Arme vor.
    Der ›alte Löwe‹ humpelte in sein Zimmer und ließ sich schwer in einen Sessel fallen.
    »Ich verstehe Sie nicht, Wagner.« Kopfschüttelnd sah der Professor seinen Oberarzt an. »Wenn man eine Schlappe erleidet, muß man sie offen zugeben. Wer das nicht tut, ist ein Nichtskönner und ein Feigling. Wir alle irren in unserem Leben. Auch ich …«, er deutete auf sein Gegenüber, »auch Sie. Die Größe eines Menschen liegt aber darin, seine Fehler einzusehen und zuzugeben. Nur so kann man vermeiden, daß sich dieselben Irrtümer wiederholen.«
    »Ja, aber …«, stotterte Dr. Wagner, »aber Sie sind doch schließlich der Chef der Klinik. Wenn nun jeder Famulus erfährt, daß auch Sie sich irren …«
    »… und daß ich meine Fehler offen bekenne, so wird seine Achtung vor mir steigen. Wir sind Menschen, Wagner, und keine Götter.«
    Er dachte nach, stand auf und humpelte durchs Zimmer. Unvermittelt blieb er dann vor dem Oberarzt stehen.
    »Die Sache mit der Lupe hat mich interessiert. Es scheint etwas dran zu sein.«
    »Gaukelei, Herr Professor! Dieser Bruckner wollte lediglich Zeit gewinnen und sich interessant machen.«
    »Wenn man mit Gaukeleien richtige Diagnosen stellen

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