Schicksal in seiner Hand
an.
»Geh wieder zu Bett, bitte. Kein Grund zur Beunruhigung! Ich hatte lediglich Kopfschmerzen und wollte etwas Luft schnappen. Da sah ich den Wagen. Ich werde ihn in die Garage fahren.«
»Ach so! Dann ist es ja gut. Ich wurde plötzlich wach und glaubte, Schritte zu hören. Da wollte ich einmal nachsehen.«
»Das war nur ich, Robert«, versicherte Yvonne mit einer Engelsmiene. »Dann bin ich noch einmal zurückgegangen, um die Autoschlüssel zu holen.«
»Ja, ja!«
Er stapfte an ihr vorbei, ging zum Wagen und nahm das braune Kuvert heraus. Wie ein wertvolles Kleinod hielt er den mittlerweile schon etwas lädierten Umschlag krampfhaft fest.
Mit großen angstgeweiteten Augen starrte Yvonne ihren Mann an. Weshalb lag ihm soviel daran, daß diese Papiere nicht in falsche Hände gerieten?
»Laß doch!« sagte sie nach einer Weile und versuchte, ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. »Ich hätte dir das Kuvert sowieso mitgebracht.«
»Danke, Yvonne! Dieser Umschlag birgt ein Geheimnis, das ich ganz allein tragen muß.«
Sie stutzte. Wie hatte er diese Worte gemeint? War Robert womöglich doch identisch mit diesem Theo Wagner?
Behutsam schloß er sie in die Arme und legte sekundenlang den Kopf an ihre Schulter. Dann richtete er sich wieder auf. Alles Müde, Resignierende war plötzlich von ihm abgefallen.
»Fahr schnell den Wagen in die Garage, Liebling«, bat er leise, »und dann komm ins Haus, ja?«
»Ja, Robert!«
12
Pünktlich um acht Uhr war Dr. Bruckner bereits in der Poliklinik. Er wollte die Zeit bis zum Beginn der Sprechstunde ausnutzen und sich an Hand der Karteikarten über die vorliegenden Krankheitsfälle orientieren.
Er fühlte sich verhältnismäßig frisch, obwohl er während der letzten Stunden wenig geschlafen hatte. Gewaltsam drängte er alle Gedanken an Yvonne zurück. Schließlich hieß es nicht umsonst, Arbeit sei die beste Medizin.
Ein Geräusch an der Tür ließ ihn aufblicken.
Dr. Ilse Kurz kam herein, stutzte einen Moment, als sie Dr. Bruckner sah, und ging dann schnell auf ihn zu.
»Guten Morgen, Frau Kollegin«, grüßte er freundlich. »Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ich wollte nur Verbandszeug holen. Ich habe mich in den Finger geschnitten.« Wie ein verschüchtertes Schulmädchen hob sie zum Beweis die linke Hand. Der Daumen blutete stark.
Dr. Bruckner besah sich die Wunde. »Wie haben sie das denn fertiggekriegt?«
»Ich wollte nur ein Stück Brot abschneiden.«
»Wenn Chirurginnen sich schon mit Hausarbeit beschäftigen!« scherzte er, öffnete den Verbandskasten und suchte nach Heftpflaster. Dann strich er Jod auf die Wunde und klebte das Pflaster darüber.
Ilse Kurz hatte die Prozedur stumm über sich ergehen lassen. Immer noch hielt sie den Daumen hoch. Mit einem unergründlichen Blick sah sie Dr. Bruckner an. Wie herzlich er sein konnte – mit seinen Patienten!
»Tut's noch weh?« fragte er mitleidig. »Ist bald vorbei. Die Hand schön hochhalten, dann hört das Bluten auf.«
Wollte er sie auf den Arm nehmen? Sie sah den Schalk in seinen Augen und mußte lachen. Alle Verlegenheit war plötzlich von ihr abgefallen.
»Ich danke Euch, großer Meister. Wieviel Taler macht es?«
Überrascht mußte Dr. Bruckner wieder einmal feststellen, daß diese Ärztin mit der Lederhaut eines Kettenrauchers plötzlich charmant und anziehend wirken konnte. Jawohl, anziehend! Verflixt noch mal, man mußte doch etwas machen können aus diesem Mauerblümchen! Schließlich hatte er lange genug …
»Madame«, ging er auf ihren Ton ein, »an edle Frauen verschenke ich meine bescheidene ärztliche Kunst. Es ist mir sozusagen eine Ehre. Aber wenn ich ergebenst um eine Gegenleistung bitten dürfte?«
»Und die wäre?«
»Dienen Sie mir als Modell?«
»Als was?«
Entsetzen steht ihr auch gut, konstatierte Bruckner vergnügt. Überhaupt ließ sich mit diesem etwas exotisch wirkenden Gesicht allerhand anfangen.
»Moment!« Er ging zum Wandschrank und zog Schwester Euphrosines ›Schönheitsfach‹ heraus. »Bitte, keine Sorge! Ich bin völlig unbegabt in Aktmalerei.«
»In … Aktmalerei?«
Das Wort wollte ihr nur schwer über die Lippen kommen. Sie wurde über und über rot. Verlegen schaute sie zu Boden.
Thomas Bruckner hatte beide Hände auf dem Rücken verschränkt. »Setzen!« befahl er mit der leisen, eindringlichen Stimme eines Magiers. »Hier, auf diesen Stuhl! Nicht denken! Abschalten! Entspannen!«
Widerspruchslos gehorchte Ilse Kurz. Sie wußte in
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