Schicksal in seiner Hand
Unsinn!«
»Nein«, wehrte er ab, »du brauchst mich gar nicht in Schutz zu nehmen. Ich habe lange und gründlich nachgedacht. Aber ich verspreche dir, Yvonne, das wird jetzt anders.«
Sie setzte sich an sein Bett, goß Tee ein und machte ihm eine Schnitte fertig. Dann zerteilte sie alles in mundgerechte Happen und reichte Robert den Teller.
»Danke, du verwöhnst mich! Doch es ist gut. Ich habe nie gewußt, daß es so schön sein kann.«
»Du sollst mir jetzt kein Loblied singen, Robert, sondern frühstücken«, sagte sie lächelnd, »Essen hält bekanntlich Leib und Seele zusammen.«
»Das stimmt! Trotzdem muß ich dich um Nachsicht bitten. Ich … habe absolut keinen Appetit. Ich muß mir den Magen verdorben haben … unterwegs, nehme ich an. Hotelkost habe ich ja nie gut vertragen.«
Als sich ihre Blicke trafen, schaute der Professor schnell weg. Das Lügen fiel ihm schwer. Yvonne erkannte die stumme Qual in seinen Augen. Schmerzlich wurde ihr bewußt, wie schwer er litt. Wenn sie ihm doch helfen könnte!
»Gut«, erwiderte sie leise und stellte den Teller weg. »Lassen wir das Frühstück. Für einen verdorbenen Magen ist Hungern die beste Medizin. Aber ein heißer Tee schadet bestimmt nicht.«
Mit zitternder Hand führte er die Tasse an die Lippen, nahm einen winzigen Schluck und reichte sie dann Yvonne.
Sie trank. Es kostete sie eine ungeheure Überwindung, dieses Versteckspiel mitzumachen. Denn nun stand es für sie fest, daß kein anderer als ihr Mann mit dieser Diagnose des Münchener Röntgenologen gemeint war. Sie zuckte unwillkürlich zusammen und umklammerte seine Hand.
»Mein Gott, Yvonne!« sagte er bestürzt. »Was ist dir? Du bist doch nicht etwa krank?«
Sie schüttelte stumm den Kopf. Sollte sie sprechen, ihm sagen, daß sie den Inhalt dieses braunen Umschlags kannte? Wie würde er reagieren? Offensichtlich wollte er sein Leiden vor ihr geheimhalten. Nein, sie hatte kein Recht dazu, in ihn zu dringen.
Yvonne nahm ihre ganze Kraft zusammen. Sie richtete sich auf, strich eine Locke zurück und zwang sich zu einem Lächeln.
»Mir war nur eben schwindlig, Robert. Ich werde mich nachher noch etwas hinlegen.«
»Du mußt einfach mal heraus aus diesem ewigen Einerlei. Wir werden eine Reise machen, mein Herz. Was hältst du davon?«
»Eine Reise? Ja, aber … hast du denn Zeit? Ich meine, kannst du denn so einfach von der Klinik weg?« Ungläubig schaute sie ihn an.
»Pah, die Klinik!« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die kann mir gestohlen bleiben! Man soll auch mal die Jüngeren ranlassen. Der Oberarzt wird den Laden schon schmeißen. Ich rufe ihn gleich an und sage, daß ich heute nicht komme – heute nicht, morgen nicht und übermorgen auch nicht … ein paar Wochen nicht!«
Bergmann redete sich förmlich in Eifer. Er wirkte plötzlich wie ein übermütiger Junge, der einen tollen Streich ausheckte. Seine stahlgrauen Augen blitzten unternehmungslustig. Ihr jugendliches Feuer wollte so gar nicht zu dem todkranken Mann passen, der bleich und abgespannt in den Kissen lag.
»Du wolltest doch immer nach Südfrankreich, Yvonne. Wie hieß doch das kleine Fischerdorf, von dem du mir einmal erzählt hast?«
»Cabasson.«
»Ja, richtig, Cabasson! Wir fahren! Wir beide werden mit einem Jahr Verspätung unsere Hochzeitsreise nachholen. Zum Glück ist es nie zu spät! Ich werde dich endlich einmal richtig verwöhnen können, meine kleine bezaubernde Frau. Man wird mich um dich beneiden, man wird sagen …«
»… ist das ein Kavalier! Ganz große Klasse! So elegant, geistreich, weltgewandt und noch so …«
»… verliebt in seine eigene Frau. Kein Wunder! Der hat sich ja auch ein Juwel geangelt, der alte Trottel!«
»Robert!« rief sie empört. »Ich verbitte mir, daß du meinen Mann beleidigst. Zur Strafe …«
»… bekomme ich ganz schnell einen Kuß!«
Sie lachten, scherzten und benahmen sich wie übermütige Kinder. Es war eine hektische, unnatürliche Freude – überschattet von Leid, Tränen und Todesahnung. Beide waren verzweifelt bemüht, ihr wahres Gesicht voreinander zu verbergen.
Als Yvonne einmal kurz aufstand, um das Fenster zu schließen, nahm Professor Bergmann verstohlen wieder eine Tablette. Nur jetzt nicht schlappmachen! dachte er voller Qual. Herrgott, schenke mir dieses späte Glück, gewähre mir eine Gnadenfrist, wenigstens ein paar Wochen noch, gib mir eine letzte Chance …
»Wir werden am Strand Spazierengehen, schwimmen, aufs Meer
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