Schicksal in seiner Hand
ihre abgemagerte, durchsichtig scheinende Hand. Albert Kleiber eilte zum Bett seiner Frau, nahm ihre Finger behutsam zwischen die seinen und drückte immer wieder Küsse darauf. Freudentränen rollten ihm über die Wangen.
»Ich bin ja so glücklich! … Ach! … Mein Gott, ich danke dir! … Du hast mich erhört!« stammelte er. »Jetzt wird alles wieder gut. Du kommst nach Hause, und ich werde dich nie mehr verlassen.«
»So ein Quatsch! Ich Dussel alarmiere gleich zwei Ärzte.«
Der Pfleger griff sich an die Stirn. Dann ging er auf Albert Kleiber zu, der am Krankenlager seiner Frau kniete und ihr in seinem Glückstaumel das Blaue vom Himmel versprach.
»Da haben Sie mir ja was Schönes eingebrockt!« rief der Pfleger empört. »Ich habe gedacht, Ihrer Frau geht es schlecht, als Sie wie ein Wahnsinniger auf den Flur herausgeschossen kamen. Und nun? Man schreit doch nicht nach einem Arzt, wenn es dem Patienten bessergeht, Sie … Sie …«
Albert Kleiber drehte sekundenlang den Kopf um und starrte die drei weißbekittelten Gestalten verständnislos an. Dann wandte er sich wieder seiner Frau zu.
»Lassen Sie nur!« Thomas Bruckner legte dem Pfleger die Hand auf die Schulter. »Warum soll ein Arzt nicht auch mal Zeuge einer großen Freude sein? Wir erleben ja doch meist nur das Leid.«
Auf Zehenspitzen verließen die drei das Zimmer.
Kaum war die Trage in den hellerleuchteten Raum transportiert worden, als Dr. Rademacher angehetzt kam. Er war völlig außer Atem. Entsetzt beugte er sich über seinen Chef. Professor Bergmann lag noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit. Rademachers Hand zitterte, als er den Leib des Kranken freilegte.
»Bitte, benachrichtigen Sie sofort den Oberarzt«, schrie er Schwester Angelika entgegen, »und die beiden anderen Diensthabenden. Aber rasch!«
Vorsichtig tastete Dr. Rademacher dann den Leib ab.
»Mein Mann leidet an einem Magenkarzinom.«
Der Arzt fuhr auf und wandte überrascht den Kopf in die Richtung, aus der eben die leise Stimme gekommen war. Lang sam ging er auf Yvonne Bergmann zu.
»Verzeihung, gnädige Frau, ich … ich habe Sie in der Aufregung gar nicht bemerkt.« Er nahm die ihm dargebotene Hand und drückte sie bewegt. Jetzt erst wurde ihm die ganze Ungeheuerlichkeit dessen, was er eben gehört hatte, deutlich bewußt. »Ein Magenkarzinom?« wiederholte er entgeistert.
»Ja, Dr. Rademacher, leider kann an dieser Diagnose nicht gezweifelt werden.«
»Ja, aber … woher …«
Wortlos reichte ihm Yvonne Bergmann das braune Kuvert mit den Röntgenbildern. Er knipste das Licht des Schaukastens an, hing die Aufnahmen ein und betrachtete sie lange schweigend. Dann seufzte er, rang nach Worten und hob schließlich mit einer hilflosen Geste beide Hände.
»Sie brauchen mir nichts zu sagen. Ich weiß alles.«
Yvonne Bergmann senkte den Kopf und wandte sich um. Mit schleppenden Schritten ging sie wieder zur Ecke hinter dem Wandschirm, als suchte sie dort Schutz vor der grausamen Wirklichkeit.
»Ich kann den Oberarzt nicht erreichen«, sagte Schwester Angelika verzweifelt und drehte erneut an der Wählscheibe.
Wieder öffnete sich die Tür. Dr. Bruckner trat, gefolgt von seiner Kollegin, ein.
»Was ist los?« Rasch ging er auf die Trage zu, die mitten im Raum unter dem gelben Scheinwerfer stand. Er warf einen Blick auf den Patienten und fuhr erschrocken zurück. »Aber das ist doch …«
Wortlos nickte Rademacher und zeigte auf die Röntgenbilder, die grünlich erleuchtet an der Wand hingen. Dr. Bruckner stellte das Licht etwas schwächer, damit es die Feinheiten der Aufnahme nicht überstrahlte. Aufmerksam studierte er die Fotos.
»Bei dem Befund brauche ich nicht einmal ein Vergrößerungsglas.«
Er ging wieder zu Professor Bergmann und fühlte ihm den Puls. Bedenklich schüttelte er den Kopf. Dann hob er die Unterlider an, daß das Rote im Auge zu sehen war.
»Schwerste Blutung! Haben Sie schon das Labor benachrichtigt? Es muß sofort die Blutgruppe festgestellt werden. Wenn der Chef nicht gleich eine Transfusion erhält, ist es aus.«
»Das Labor arbeitet um diese Zeit nicht«, sagte Rademacher und hob resigniert die Schultern.
»Ich kann den Oberarzt einfach nicht erreichen«, jammerte in diesem Augenblick wieder Schwester Angelika.
»Dann lassen Sie es sein!«
Thomas Bruckner hatte mit einem Mal das Kommando übernommen. Jeder hörte auf ihn. Instinktiv fühlten die anderen, daß er allein jetzt das Richtige tun konnte.
»Besorgen Sie sofort
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