Schicksalsmord (German Edition)
hätte, könnte sie kaum entlasten.“
Thomas sah mich sehr ernst an. „Aber es könnte dich belasten“, sagte er. „Wenn du zugibst, zur Tatzeit in der Kanzlei gewesen zu sein, dann bist auch du verdächtig. Und Lydia könnte das ausnutzen und gegen dich wenden. Lass uns also bitte auch künftig darüber schweigen.“
Sein „uns“ tat mir merkwürdig gut, doch sein Mißtrauen gegen Lydia empfand ich als kränkend. Mir die Schuld an Dietrichs Tod zuzuschieben – auf so eine Idee würde sie nun wirklich nicht kommen.
Am nächsten Tag räumte ich gemeinsam mit Thomas und Martina meine Sachen in die neue Wohnung. „Mein Gott, Ulrike, das ist doch alles viel zu eng“, stöhnte Martina. „Diese winzige Schlafkammer und die kleine Arbeitsnische, wie willst du da deine Sachen unterbringen?“
Ich wusste natürlich, dass es eng werden würde und hatte deshalb bereits vieles aussortiert. Zum Glück trennte ich mich leichter als Mutter.
„Wenigstens bekommst du jetzt ein neues Bad“, bemerkte Martina versöhnlich und ich nickte zustimmend. Viele Bekannte hatten überhaupt nicht verstanden, wie ich es in meiner alten Bleibe ausgehalten hatte, nachdem der Mann, den ich in knapp einem Monat heiraten wollte, dort unter tragischen Umständen tot im Bad aufgefunden worden war. Zugegebenermaßen hatte auch ich das Bad danach nur ungern betreten und meistens gleich nach dem Dienst in der Klinik geduscht. Doch ausziehen konnte ich schon wegen Mutter nicht. Als Krankenschwester ist der Tod etwas Vertrautes für mich. Zwar empfinde ich nach wie vor Mitgefühl, jedoch kein Grauen. Wollte ich Räume, in denen einmal ein Toter lag, auf Dauer nicht betreten, könnte ich nie mehr ins Krankenhaus gehen.
Schließlich war alles eingeräumt, nur Lydias prall gefüllte Koffer standen noch im Flur. Thomas erbot sich, sie dort gleich in den dafür vorgesehenen Stauraum über den Einbauschränken zu schieben, doch ich schüttelte den Kopf. Erst wollte ich nachschauen, ob sich darin eventuell Kleidungsstücke befanden, die man besser auf einen Bügel hängen sollte.
„Na klar, die hängst du dann in deinen Schrank und deine eigenen Sachen schiebst du unters Bett“, kommentierte Martina kopfschüttelnd.
Ich sah trotzdem nach. Zwischen Unterwäsche und Pullovern fiel mir eine Schmuckschachtel auf. Als ich sie öffnete und den Silberarmreif mit dem grünen Stein erblickte, erfasste mich plötzlich ein heftiges Schwindelgefühl, ich musste mich mit beiden Armen aufstützen, um nicht zu fallen.
Martina schaute mir über die Schulter. „Der ist ja hübsch, eigentlich gar nicht Lydias Stil“, meinte sie und stutzte gleich darauf. „Was ist denn mit dir los? Du bist ja kreideweiß?“
Auf dieses Stichwort hin kam Thomas angelaufen, gemeinsam schafften sie mich auf mein Bett und legten meine Beine hoch. „Besser?“, fragte Martina. Ich nickte. „Das ist einfach alles zu viel Stress“, meinte sie. „Schlaf jetzt erstmal ein paar Stunden, nachher brühe ich dir einen Spezialtee zur Nervenstärkung.“
Ich nickte wieder und schloss gehorsam die Augen. Sofort kamen die Bilder, als hätten sie nur auf die Gelegenheit gewartet, endlich über mich herfallen zu können: Lydia mit dem Silberarmreif, Peter, mein Verlobter, neben ihr. Mein Brautkleid. Peter tot in der Badewanne, das Bedauern in der Stimme des Notarztes, als er mitteilt, die Polizei rufen zu müssen. Das grelle Blitzlicht eines Fotoapparates. Irgendetwas obszön rosarotes. Ich stoppte diese innere Filmvorführung, indem ich die Augen wieder öffnete. Was war bloß mit mir los? War ich inzwischen so dünnhäutig, dass Martinas einfache Bemerkung über das neue Bad so einen Gefühlssturm auslösen konnte? Immerhin lagen die Ereignisse nun schon sechs Jahre zurück, und ich war der Ansicht gewesen, sie inzwischen gut verarbeitet zu haben.
Es war kurz nach meinem 27. Geburtstag gewesen, als Peter als Patient auf unsere Station kam. Eigentlich weilte er wegen seines Asthmas als Kurgast in Bödersbach, doch ein plötzlicher schwerer Anfall brachte ihn für einige Tage ins Krankenhaus. Sein Interesse an mir war unverkennbar, und da er es sehr höflich und zurückhaltend zum Ausdruck brachte, war ich weniger abweisend als sonst. Ich ging ein paar Mal mit ihm essen und wusste bald eine Menge über ihn. Peter hatte Grafikdesign studiert, arbeitete freischaffend als Illustrator und war verwitwet. Der Krebstod seiner Frau vor fünf Jahren hatte ihn sehr mitgenommen, lange hatte er
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