Schicksalsmord (German Edition)
kurzen, aber heftigen Gewitter mit wolkenbruchartigen Regenfällen entladen sollte. Danach war die Luft wunderbar klar und wir erledigten unsere Einkäufe recht zügig. Das sektfarbene Seidenkleid, für das ich mich entschied, saß wie angegossen, Mutter war es allerdings viel zu schlicht.
Wieder zu Hause angekommen, schaute ich zuerst in den Garten. Der Strauch zeigte Spuren einer Bearbeitung, die aber noch nicht abgeschlossen war. Säge und Gartenschere lagen im Flur, Peter war nirgends zu sehen. Schon in diesem Moment beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ich rief im Haus nach ihm, bekam aber keine Antwort.
In unserem Haus gab es zwei Bäder, ein geräumiges im Erdgeschoss und ein wesentlich kleineres in der ersten Etage. Da dort früher Lydias und mein Zimmer lagen, war es immer unser Bad gewesen und es wurde nun nach Lydias Auszug von mir weiter genutzt. In diesem Bad fand ich Peter dann in der Badewanne. Ich sah sofort, dass er tot war, sein Gesicht wies die typische Rötung einer Kohlenmonoxidvergiftung auf. Neben ihm auf dem Hocker lagen seine völlig durchweichten Sachen.
Der Unfallhergang, für den sich auch die Polizei interessierte, war schnell ermittelt. Peter hatte im Garten den Strauch beschnitten, er war vom Wolkenbruch überrascht und völlig durchnässt worden. Um einer Erkältung vorzubeugen, die er wegen seines Asthmas besonders fürchtete, hatte er sich ein heißes Bad eingelassen. Der defekte Boiler hatte in Verbindung mit dem geschlossenen Badfenster seinen Tod herbeigeführt.
Niemandem wurde eine Schuld zugewiesen, doch ich machte mir die entsetzlichsten Vorwürfe. Denn ich hätte wissen müssen, dass der Boiler nicht in Ordnung war. Bereits vor knapp einem Jahr war Lydia in diesem Bad plötzlich ohnmächtig geworden. Sie war ohne Thomas, der sich gerade auf eine Prüfung vorbereitete, zu Besuch gekommen und wohnte deshalb bei uns. Ich hatte danach sofort einen Monteur holen wollen, doch Mutter hatte mir das mit Vehemenz untersagt. Gerade hatte sie nach einem Wasserrohrbruch hohe Kosten für den Austausch eines Großteils der Wasserleitungen begleichen müssen. Sie fühlte sich von den Handwerkern über den Tisch gezogen, meinte, die hätten viel mehr repariert, als notwendig gewesen sei. Sie wolle jetzt nicht gleich nochmal dasselbe mit den Gasrohren erleben. Der Boiler sei schon in Ordnung, man müsse nur das Fenster öffnen. Und außerdem könne ich ja auch das Bad im Erdgeschoss benutzen. Lydia stimmte ihr zu und meinte, ihr sei schon vorher unwohl gewesen. Ich gab wieder mal klein bei. Durch meine Nachgiebigkeit verlor Peter sein Leben und Julia ihren Vater. Von seiner Familie machte mir niemand einen Vorwurf, sie bemühten sich im Gegenteil rührend um mich. Wir sind immer noch in Kontakt, und für Julia bin ich inzwischen so etwas wie eine Patentante. Ich bin froh, dass sie trotz des Verlustes beider Eltern ein so glückliches, geborgen aufwachsendes Kind ist.
Über diesem tröstlichen Gedanken musste ich kurz eingeschlafen sein, denn ich hatte einen merkwürdigen Traum. Ich stand wieder auf dem kleinen, gepflegten Friedhof an der See und erlebte Peters Beisetzung. Alles war genau wie in Wirklichkeit: Peters Schwester und sein Schwager hatten mich in die Mitte genommen, und ein Freund hielt eine anrührende Rede. Es waren viele Verwandte und Freunde gekommen, die schlichte Urne war von einem Blumenmeer umgeben. Plötzlich zog etwas meinen Blick auf sich: Quer über die Urne hing ein Stofffetzen in einem geradezu ordinären Rosaton. Es war nicht zu erkennen, um was es sich handelte, vielleicht war es ein Slip oder auch ein Gürtel, die Form wechselte ständig. Mir brach der Schweiß aus. „Das gehört da nicht hin“, dachte ich und fühlte mich furchtbar hilflos. „Das gehört da nicht hin“, wiederholte ich den Traumgedanken beim Aufwachen. Und plötzlich wusste ich, um was es sich handelte. Plötzlich wurde mir klar, was mich all die Jahre gequält und an die Oberfläche meines Bewusstseins gedrängt hatte. Ich musste laut aufgeschluchzt haben, denn Martina und Thomas kamen gleichzeitig ins Schlafzimmer gelaufen und sahen mich besorgt an. „Mir ist gerade etwas Wichtiges eingefallen“, sagte ich nur. Aber ich hatte noch nicht die geringste Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.
Lydia:
Die neuen, mich belastenden Enthüllungen hatten bei mir tiefe Ohnmachtsgefühle ausgelöst. Ich durchlebte Phasen, an denen ich mich am Ende meiner Kräfte wähnte. Gleichzeitig war mir klar,
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