Schicksalspfad Roman
lässig. »Kann ich dir noch etwas erzählen?«
»Du kannst mir alles erzählen.«
»Okay, aber es bleibt unter uns.«
»Klar«, sagte Joanne gerührt, dass Cherry sich ihr nun anvertraute. Es war das erste Mal.
»Also«, meinte Cherry leicht schuldbewusst, »ich ziehe vielleicht mit Rick zusammen.«
Joanne sah sie an. »Machst du Witze?«
Cherrys Wangen röteten sich. »Es ist noch nicht abgemacht, daher bitte kein Wort zu Grace. Aber es macht Sinn, denn seine Wohnung liegt dicht beim Krankenhaus, und ich bin sowieso die meiste Zeit dort.«
»Habt ihr es schon beredet?«
»Wer - Rick und ich?«
»Nein, du und der Nikolaus.«
»Es war seine Idee«, verteidigte sich Cherry.
»Wirklich?«
»Ist das so unwahrscheinlich?«
»Er hat dich gefragt, ob du zu ihm ziehst? So schnell?«
»Nicht nur das, er hat sogar vorgeschlagen, dass ich
keine Miete zahle«, sagte Cherry. »Er sagte, er macht sich Sorgen, dass ich den ganzen Weg nach Turtle Island immer allein mit der U-Bahn fahre.«
»Wow! Was für ein süßer Typ dieser Doktor Nash doch ist! Wer hätte das gedacht?«
»Er ist ein richtiges Plüschtier«, erwiderte Cherry. »Ich habe neulich abends mit ihm ›Frühstück bei Tiffany’s‹ geguckt, und am Ende hat er tatsächlich geschluchzt.«
»Erstaunlich!«, meinte Joanne, die Entsprechendes von Donny nicht gerade behaupten konnte. Zum ersten Mal hatte Joanne das Gefühl, in Konkurrenz mit Cherry zu treten, aber auf deren eigene, unschuldige Weise. Cherry forderte sie heraus, allerdings nicht gerade unschuldig. Sie probierte die neue Macht aus, die sie mit dem Freund errungen hatte.
»Ich hatte gedacht«, meinte Cherry nun, »wenn ich zu Rick ziehe und du wieder mit Donny zusammenziehst, dass Grace dann ganz alleine ist.«
»Meine Situation mit Donny ist noch nicht endgültig«, antwortete Joanne.
»Nein? Ich dachte, ihr wäret wieder zusammen?«
»Sind wir auch«, gab Joanne zurück. »Wir sind zusammen.« Dann fuhr ihr Blick die Theke entlang zu Hoag, der ihren Blick diesmal erwiderte. Joanne wandte sich rasch ab und sprach in lockerem Unterhaltungston zu Cherry weiter. »Manchmal sind zwei Leute einfach füreinander bestimmt. Sie verbinden sich auf ein ganzes Leben, wie Enten. Donny und ich sind Enten.«
»Würdest du dich jemals scheiden lassen?«, fragte Cherry.
Scheiden? In Joannes Kindheit war »Scheidung« eines
der düstersten Wörter, die nur im Extremfall benutzt wurden. Geschiedene Frauen wurden bemitleidet wie Aussätzige und möglichst gemieden. Eine Scheidung hatte den Ruch von moralischem Versagen, dessen Opfer man meiden musste.
Joanne erwiderte: »Warum sollten Donny und ich uns scheiden lassen? Er hat Fehler. Aber was ist schon Liebe ohne Vergebung? Er hat wirklich ein Herz aus Gold. Weißt du, wie er mir den Heiratsantrag gemacht hat?«
»Nein«, sagte Cherry, die sich in der letzten Zeit sehr für solche Dinge interessierte. »Wie denn?«
»Er hat mich nach Rom eingeladen und ein Streichquartett bestellt, das mir am Tisch auf der Piazza Deloni eine Serenade spielte. Wir haben Muscheln bestellt - klar, mein Lieblingsessen -, und er hat mir eine Muschel gegeben. Als ich sie öffnete, lag dieser fantastische Ring darin. Er hatte tatsächlich eine Muschelschale säubern und mit Samt auslegen lassen. Das war das Süßeste, was ich jemals erlebt habe.« Joanne wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, wie so oft, wenn sie sich an diesen Augenblick erinnerte, vermutlich der glücklichste ihres Lebens.
»Möchten die Damen noch etwas?«, fragte Hoag, der plötzlich vor ihnen stand.
Joanne zuckte zusammen. »Alles in Ordnung.« Dann griff sie in die Tasche und holte ihre Börse heraus. »Ich glaube, ich hatte genug. War ein langer Tag.« Sie wandte sich zu Cherry, spürte aber Hoags Blick. »Bleibst du noch hier, Scarlett?«
»Oh«, meinte Cherry überrascht. Sie versuchte rasch
zu erfassen, was Joanne von ihr erwartete. »Ich komme mit«, sagte sie, obwohl sie ihren Wein kaum angerührt hatte.
Joanne war nicht sicher, warum sie es plötzlich so eilig hatte. Sie wusste nur, dass es spät war, dass sie müde war und dass sie sich für Donny entschieden hatte. Und da sie Hogan Vandervoort all dies mitgeteilt hatte, musste sie gehen.
»Ehe ihr geht«, begann Hoag. »… falls du nächsten Samstag nichts vorhast, ich fahre mit dem Boot hinaus. Du kannst gerne mitkommen. Du auch«, sage er zu Cherry gewandt, aber Joanne war völlig klar, dass dies nur aus Höflichkeit
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