Schicksalspfade
Finger reagierten, verharrten über den Schaltflächen und weigerten sich, sie zu berühren. Inzwischen befand sich der Shuttle tiefer als dreißigtausend Meter. Fiel er nun einem, gefährlich turbulenten Bereich der Atmosphäre entgegen?
Warten… warten… warten…
Um Tom herum schien es immer dunkler zu werden, und die Konsole bestand nur noch aus einigen matten Lichtern vor ihm. Wenn er noch länger wartete, verlor er vielleicht das Bewusstsein, und dann konnte er das Bremsfeld nicht
aktivieren. Halte durch, Tom, halte noch etwas länger durch…
Plötzlich entstand ein Bild vor seinem inneren Auge, mit überraschender Klarheit, und erinnerte ihn an eine andere Gelegenheit, in der er gezwungen gewesen war, zu warten und zu warten. Ein Schrei löste sich von seinen Lippen. Er hatte geglaubt, jenen Schrecken überwunden zu haben, aber er lauerte noch immer in ihm und präsentierte viel zu deutliche Details, in den Farben des Feuers und des Todes…
Die Erinnerung löste in ihm einen solchen Schock aus, dass er plötzlich wieder klar sehen konnte. Die Höhe, so stellte er fest, betrug jetzt weniger als neunundzwanzigtausend Meter.
Jetzt.
Toms Finger glitten über die Kontrollen, und das Bremsfeld wurde aktiv. Wenige Sekunden später fühlte er ein sanftes Zerren, als das Trudeln nachließ. Er schnappte nach Luft, als Schwindel und Benommenheit ihn erfassten. Hatte er kurz zum Fenster gesehen? Nein, bestimmt nicht. Aber trotzdem regte sich Übelkeit in ihm. Warum neigte sich der Bug nicht nach unten? Hatte er die falschen Schaltflächen berührt? Die aufsteigende Panik knisterte wie Plasma durch seinen Körper.
Nein, er musste sich beherrschen, durfte auf keinen Fall in Panik geraten. Nachdenken. Warum neigte sich der Bug nicht nach unten? Nachdenken…
Er hatte gerade geschworen, sich nie wieder auf so etwas einzulassen, wenn er diese Sache überlebte, als er spürte, wie sich der Shuttle in die richtige Position drehte. Von einem Augenblick zum anderen wurde ihm klar, dass alles in
Ordnung gewesen war. Die biologischen Reaktionen hatten sich auf sein Zeitempfinden ausgewirkt und ihm vorgegaukelt, dass mehr Sekunden verstrichen waren.
In Wirklichkeit lief alles wie geplant.
Luft strömte in die Ansaugstutzen und das Triebwerk feuerte.
Tom brachte das kleine Raumschiff unter Kontrolle, leitete einen normalen Sinkflug ein und sah dann zum blauen Himmel des Planeten, der verlockend vertraut wirkte. Kurze Zeit später näherte er sich der Oberfläche, hielt nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau und dachte dabei, dass er sich nicht an den Schwur zu halten brauchte – immerhin war überhaupt nichts schief gegangen.
Unten bemerkte er die Crewmitglieder der Voyager: Punkte, die schnell größer wurden.
Er wusste nicht genau, wann ihm klar wurde, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht lag es daran, dass einige Gestalten ziellos hin und her liefen. Andere lagen auf dem Boden und rührten sich nicht.
»Paris an Einsatzgruppe. Was passiert dort unten?«
Er bekam keine Antwort. Zum ersten Mal seit Beginn des Sinkflugs blickte Tom auf die Anzeigen der Sensoren und nahm überrascht zur Kenntnis, dass die Besatzungsmitglieder der Voyager nicht allein auf dem Planeten waren. Es gab fremde Lebensformen, Dutzende von ihnen. Woher waren sie gekommen?
Rasch landete er, öffnete die Luke und stieg aus, um seinen Freunden zu helfen und herauszufinden, was geschehen war.
Doch kaum hatte er den Shuttle verlassen, breitete sich Benommenheit in seinem Kopf aus, und er torkelte wie im Rausch. Eine seltsame, widerliche Süße lag in der Luft, und Tom begriff, dass dieser Geruch für seine weichen Knie verantwortlich war. Weiter vorn lagen inzwischen die meisten Mitglieder der Einsatzgruppe auf dem Boden – er konnte nicht feststellen, ob sie tot oder nur bewusstlos waren. Chakotay hielt sich als Letzter auf den Beinen, aber dann verließen auch ihn die Kräfte, und er sank auf die Knie. Mehr konnte Tom Paris nicht beobachten, denn Finsternis tastete nach seinem Ich. Er fragte sich noch, ob er den gefährlichen Flug durch die Atmosphäre nur deshalb überlebt hatte, um giftigem Gas zu erliegen, dann verlor er das Bewusstsein.
Als Chakotay erwachte, wusste er nicht, wo er sich befand.
Vermutlich im Innern eines Gebäudes. Im Licht einiger weniger Lampen sah er Wände und eine niedrige Decke. Ein matter gelber Schein ging von den Lampen aus, bildete hier und dort helle Stellen, an deren Rand unheilvolle Dunkelheit
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