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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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nur zu gut.
    »Weshalb hat Claas sie nicht viel früher vorbereiten lassen?«, fragte sie, während sie mit Clara gemeinsam versuchte, Anna das Totenkleid über den starren Leib zu ziehen.
    Die alte Frau seufzte. »Das habe ich ihn auch gefragt. Er hat mir nicht geantwortet. Irgendetwas in seinem Blick war zerbrochen, nachdem die Anna heimgegangen war.«
    »Warum er sie wohl nicht loslassen konnte?«, sinnierte Brida. Sie hatte eigentlich nur zu sich selbst gesprochen, doch Clara antwortete ihr.
    »Sie war sein Leben.« Die Alte wischte sich verstohlen über die Augen. »Du kanntest sie doch, Brida. Sie hat das Haus geführt, ihm den Rücken gestärkt. Ohne sie wäre er wohl nie Stadtrat geworden. Die Anna war ihm mehr als eine Ehefrau. Sie war ihm alles, Mutter und Vertraute, Gattin und Geliebte.«
    »Ich weiß, wie sehr er sie geliebt hat«, bestätigte Brida.
    »Ja, das hat er wohl. Aber das war nicht alles«, fuhr Clara fort. »Sie war ein Teil von ihm. Er hat sie mehr geliebt als den lieben Herrgott.« Die alte Frau bekreuzigte sich. »Aber niemand darf einen Menschen über Gott stellen, sonst wird’s zur Sünde.«
    »Du willst sagen, Claas hat Gott gelästert?«
    »Nein, das nicht«, beschwichtigte die Alte sofort. »Aber was Claas für die Anna empfand, das war nicht mehr gottgefällig. Das war Götzendienst.«
    Brida zog die letzten Falten von Annas Totenkleid glatt. Götzendienst … Das Wort ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie kannte Claas von Kindheit an. Niemals hatte sie etwas Böses in der Liebe gesehen, die ihn mit Anna verband. Und Anna war glücklich mit ihm gewesen. Zumindest bis kurz vor ihrem Tod. Brida erinnerte sich an das letzte Gespräch mit ihr. An Annas Sorge um Claas, weil er nicht loslassen konnte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Wann hatte es begonnen? Erst mit Annas Krankheit oder schon davor? Anna war stets eine vollendete Dame gewesen, und doch hatte sie zugelassen, dass Claas ihre Hand in aller Öffentlichkeit vertraulich festhielt und sie zärtlich streichelte. Brida hatte es für ein Zeichen ihrer großen Zuneigung gehalten und sie insgeheim darum beneidet. Doch nun wurde ihr bewusst, dass die beiden stets nahe beieinander gewesen waren, wann immer sich die Möglichkeit ergab. Als wären sie tatsächlich Teil eines einzigen Leibs gewesen. Hieß es nicht, das Weib sei das Herz des Hauses? Nun, Anna war ganz gewiss der Kopf gewesen, nicht Claas, da war Brida sich sicher. Claas hatte viel auf Annas Rat gegeben und ihr, solange sie noch gesund war, alle Freiheiten gelassen. Anna hatte die Bücher geführt und Verträge abgeschlossen. Claas war meist mit Ratsangelegenheiten beschäftigt gewesen. Niemand hatte sich etwas dabei gedacht, alle hatten ihn um sein tatkräftiges Weib beneidet, und es war selbstverständlich gewesen, dass sie ebenso wie er die Siegelgewalt besaß.
    Simon hatte Brida erzählt, wie er Claas an Annas Totenbett vorgefunden hatte. Voller Verzweiflung, mit fiebrig glänzenden Augen. Aber wie passte es dazu, dass Claas kurz darauf die Kaltblütigkeit besaß, drei gestandene Männer zu überlisten und zu fliehen? Erst hatte er Annas Leib nicht hergeben wollen, und dann ließ er sie im Stich?
    Ein dicker Regentropfen fiel auf Bridas Nasenspitze und holte sie in die Gegenwart zurück. Pfarrer Clemens hatte eine anrührende Trauerrede gehalten. Vier Männer versenkten Annas Sarg langsam in dem frisch aufgeworfenen Grab nahe der Kirche. Sie war eine beliebte Frau gewesen, und jeder wünschte ihr ein ordentliches Begräbnis. Trotz des Verrats ihres Gatten.
    Simon stand neben Brida. Seine Laune hatte sich seit dem Vortag kaum gebessert. Er war ungewöhnlich reizbar. Schlimmer noch als nach seiner Entlassung aus dem Kerker. Zwar bemühte er sich, ihr gegenüber so freundlich und liebenswert wie immer zu sein, aber sie spürte dennoch die Veränderung. Zu gern hätte sie ihm geholfen, aber anscheinend wusste er selbst nicht, was mit ihm war.
    Sein Blick huschte unstet zwischen den Trauergästen hin und her und streifte dabei immer wieder die Hecken am Kirchhof.
    »Was hast du?«
    »Ich hätte gedacht, Claas sei hier irgendwo in der Nähe«, raunte er. »Aber anscheinend war die Liebe zu seiner Frau doch nicht so groß, wie er immer tat. Sonst wäre er ihrer Beisetzung nicht ferngeblieben, nur um die eigene Haut zu retten.«
    Brida nickte. Eine weitere Auffälligkeit, die nicht in ihr Bild vom Stadtrat passte. Sie hatte geglaubt, Anna und Claas zu kennen, tatsächlich

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