Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
blutigen Fetzen, der über dem Stuhl hing.
»Doch nicht das!« Brida riss ihm das Kleidungsstück aus der Hand und reichte ihm stattdessen ein frisches Hemd aus einer kleinen Truhe.
»Am Hafen sind wir schon?« Mühsam versuchte Simon, sich mit der linken Hand anzuziehen.
Jannick verlor die Geduld, nahm ihm das Hemd ab, streifte es ihm über den Kopf und half ihm, den linken Arm durch den Ärmel zu schieben.
»Andere Seite auch«, murmelte Simon.
»Die andere Seite ist verbunden, das ist nicht möglich!«
»Ach ja. Na, dann nicht.«
»Wir müssen ihn nach Hause tragen lassen«, stellte Brida fest.
»Nix tragen!«, widersprach Simon. »Ich kann gehen.« Zur Bekräftigung seiner Worte versuchte er aufzustehen. Beim zweiten Versuch gelang es ihm mit Jannicks Hilfe.
»Ich werde dich stützen«, versprach ihm der Bruder. »Na, dann komm, Lillebror. Notfalls trage ich dich doch noch.«
»So wie früher? Willst du mich auf den Schultern reiten lassen?« Simon lachte albern.
Bridas Vater und Barbara erwarteten sie an Deck.
»Wie geht es ihm?«
»Er ist völlig betrunken, der Blutverlust macht es nicht besser, aber er wird es überstehen«, entgegnete Jannick.
»Betrunken, ja, ich hab auf unseren Sieg angestoßen! Mit furchtbar saurem Wein.« Wieder dieses alberne Lachen, aber irgendwie hatte es etwas Beruhigendes. Simon ließ sich nicht unterkriegen, gleichgültig, was geschah. Eine warme Welle der Zuneigung durchflutete Brida. Sie liebte ihn, und sie würde ihn immer lieben. Aber vor allem würde sie ihren Kindern und Enkeln noch von dem Tag ihrer Hochzeit erzählen, der so ganz anders verlief als alle Hochzeiten, von denen sie jemals gehört hatte.
Dank Jannicks Hilfe hielt Simon sich erstaunlich gut auf den Beinen, bis sie das Haus der von Wickedes erreichten.
Elisabeth selbst öffnete ihnen die Tür. In ihrem Blick erkannte Brida die starke Zuneigung, die sie für Jannick empfand, auch wenn sie diese vor anderen nur selten zeigte.
»Endlich seid ihr zurück!« Sie hielt ihrem Mann die Tür auf, damit er seinem Bruder weiterhelfen konnte.
»Was ist mit Simon?«
»Ein Pfeil in der Schulter. Der hätte eigentlich mir gegolten, wenn Simon sich nicht dazwischengeworfen hätte.«
»Ich lasse sofort nach dem Arzt schicken.«
»Er ist schon versorgt«, beruhigte Jannick seine Frau. Dann brachte er Simon in die Küche, die unmittelbar von der Diele abging, damit er sich setzen konnte. Doch noch während er Simon half, sich auf einem Stuhl niederzulassen, zuckte er zusammen. Brida hatte bis dahin nur auf Simon geachtet, jetzt folgte sie Jannicks Blick. In der Nähe der Herdstelle saß ein Mann, vor sich eine gute Mahlzeit, und speiste, als wäre es das Natürlichste von der Welt.
»Pfarrer Clemens!«, hauchte Brida, unfähig, seinen Namen lauter auszusprechen.
»Was will der denn hier?« Jannicks Stimme donnerte durch den Raum.
»Der Herr Pfarrer brachte uns die Nachricht, dass wir noch etwas auf euch zu warten hätten. Ich habe ihm selbstverständlich Gastfreundschaft gewährt«, entgegnete Elisabeth.
Clemens erhob sich.
»Ah, Ihr seid wohlbehalten zurück, Herr Johann. Ich bin erleichtert, dass all Eure Pläne von Erfolg gekrönt waren und ich Eurer werten Gattin in der Zwischenzeit seelischen Beistand leisten konnte.«
»Seelischen Beistand?« Simon sprang trotz seines angeschlagenen Zustands auf. »Und habt Ihr wieder versucht, den unschuldigen Mädchen unter die Röcke zu greifen?«
»Ihr seid ja betrunken!«, fuhr Clemens ihn an.
»Und Ihr treibt Unzucht mit Kindern!«, schrie Simon. »Deshalb hat Pater Johannes Euch das Auge blau geschlagen und Euch aus der Stadt gejagt. Wenn Ihr nicht auf der Stelle verschwindet, verpasse ich auch Eurem zweiten Auge ein Veilchen, an dem Ihr wochenlang Eure Freude habt!«
»Simon!«, rief Elisabeth.
»Glaubst du, ich lüge? Frag doch Jannick!«
»Jannick, ich glaube, es ist besser, du bringst Simon auf sein Zimmer«, sagte sie. Simon wollte schon Einspruch erheben, doch Elisabeth sprach weiter. »Aber vorher wirfst du dieses Ungeziefer aus meinem Haus, das sich mit Lügen hier eingenistet hat.« Dabei wies sie auf den Pfarrer.
Jannick lachte. »Dein Wunsch ist mir Befehl, mein teures Eheweib. Ihr habt meine Frau gehört, Herr Pfarrer. Hinaus mit Euch, oder muss ich handgreiflich werden?«
Clemens lief hochrot an. Im Aufstehen steckte er noch eine Wurst ein und wollte sich davonmachen, als Hinrich ihn am Eingang festhielt.
»Einen Augenblick, lieber Vetter!
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