Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
zehn Jahre zwischen uns. Tvillinger i ånden«, wiederholte er auf Dänisch. Zwillinge im Geist.
»Dann ist Eure Mutter Dänin?«, fragte Hinrich.
Erik nickte. »Der Hof in Vordingborg gehört tatsächlich ihrem Vater.«
»Und Euer Vater? Wie ist sein Name?«, bohrte Hinrich nach.
Doch sofort verfinsterte sich Eriks Miene. Der kurze Strom der Erinnerung war versiegt. Hilflos schüttelte er den Kopf.
»Könnt Ihr Euch noch darauf besinnen, wie Eure Mutter Euch als Kind rief?«
»Nein, da ist nichts mehr.«
»Dann fassen wir zusammen«, sagte Hinrich: »Ihr habt einen zehn Jahre älteren Bruder, Jannick, dem Ihr sehr ähnlich seht und der Euch anscheinend auch sehr zugetan ist. Er ist verheiratet mit Elisabeth, einer Deutschen. Eure Mutter heißt Grit und ist die Tochter eines Gutsbesitzers in Vordingborg.«
Erik nickte.
»Euer Bruder warnte Euch vor einem Vorhaben«, fuhr Hinrich fort. »Ihr könnt kämpfen wie kaum ein Zweiter hier. Ihr fürchtet, Ihr könntet aus Vordingborg geflohen sein. Und eine Frau spielt eine Rolle, die möglicherweise ertrunken ist, möglicherweise auch gerettet wurde. Und obwohl Ihr nicht wisst, wer diese Frau ist, macht Ihr Euch große Sorgen um sie.«
»Ja«, sagte Erik leise.
»Also lautet die Frage, wer diese Frau ist. Hattet Ihr den Auftrag, sie aus Dänemark zu holen? Ist sie eine Verwandte? Oder gar Eure Braut?«
Braut! Bei diesem Wort verspürte Brida einen Stich.
»Seltsam«, meinte Erik nachdenklich. »Da sind immer noch keine Gefühle. Nur die Angst, sie loszulassen. Ich muss sie festhalten, alles andere ist bedeutungslos. Sowohl in meinen Träumen als auch in meinen Erinnerungen. Es ist, als fräße die Angst, sie loszulassen, alle meine Gefühle auf.«
»Könnte es Elisabeth sein?«, fragte Brida. »Wir sind bislang immer davon ausgegangen, dass Euer Schiff von den dänischen Inseln kam. Was wäre, wenn es beispielsweise aus Lübeck kam und Ihr Euch bereit erklärt habt, Eure Schwägerin heimzuholen?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Erik. »Wenn es um seine Frau gegangen wäre, wäre Jannick selbst gefahren.«
»Was Euren Bruder und Eure Gefühle für ihn angeht, seid Ihr Euch sehr sicher, nicht wahr?«
»Ja. Schon als ich mich an seinen Namen erinnerte, fiel mir eine Last von der Seele. Ich weiß einfach, dass er alles für mich täte - so wie ich für ihn.«
An diesem Tag fanden sie nichts Neues mehr heraus. Langsam kehrte wieder Ruhe ein, und am Abend schien es Brida, als habe Erik seine alte Ruhe und Gelassenheit zurückgewonnen. Dennoch war sie unsicher, und so fragte sie ihren Vater, als sie später allein waren, was er tatsächlich dachte.
»Was meinst du, Deern?«, fragte er zurück. »Hast du gedacht, er hätte nur die freundliche, ruhige Seite?«
»Ich hatte es gehofft«, gab sie zu. »Glaubst du, er hat noch andere Männer getötet?«
»Na, ich glaub nicht, dass der noch lebt, der ihm die Wunde in der Brust zugefügt hat«, antwortete ihr Vater.
Brida schwieg. Sie erinnerte sich daran, was Erik dem kleinen Hans erzählt hatte. Er war keiner, der leichtfertig tötete. Er hatte keine Wahl gehabt. Dennoch …
Ihr Vater schien ihre Gedanken zu lesen.
»Brida, ich hab Augen im Kopf. Ich weiß, dass du ihn magst. Ich mag ihn auch. Aber wir müssen uns damit abfinden, dass er ein anderes Leben geführt hat, als wir anfangs dachten. Er ist der jüngere Sohn. Vermutlich war das seine Art, aus dem Schatten seines Bruders herauszutreten.«
»Indem er das Töten lernte?«
Ihr Vater nickte. »Ich habe mich von Anfang an gefragt, warum Gott ihm seine Erinnerungen nahm. Er ist ein guter Kerl, Brida. Aber vielleicht war der Weg, den er gewählt hat, kein guter.«
»Was meinst du damit?«
Es dauerte eine Weile, bis ihr Vater antwortete.
»In Kriegszeiten gibt es vielerlei Verwendung für einen Mann mit seinen Fähigkeiten. Er könnte sowohl als Däne als auch als Deutscher durchgehen. Er kann kämpfen und töten. Er drückt sich höflich und gewandt aus. Wenn er sein Gedächtnis nicht verloren hätte, wäre er durchaus ein Mann, der sich überall unauffällig zu bewegen wüsste.«
Brida schluckte.
»Du meinst, er könnte ein Spion sein? Aber was ist mit seinen anderen Erinnerungen? Was ist mit dieser Frau?«
»Es gibt viele ungelöste Rätsel. Es ist nur eine weitere Möglichkeit, Deern. Aber eine Möglichkeit, die du niemals außer Acht lassen solltest.«
8. Kapitel
I ch glaub, ich kenn dich.«
Ein Funke Hoffnung. Er kennt mich. Doch sofort
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