Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
An einigen Ecken schien es, als sei das Holz bereits durchgefault. Die Tische sahen kaum sauberer aus. Und ob die tönernen Becher jemals gespült wurden? Erik wagte es zu bezweifeln. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Kapitän Hinrich an einem dieser Tische Platz genommen hätte.
Eine stämmige Matrone, die ihre besten Jahre längst hinter sich hatte, kam auf sie zu und schenkte ihnen ein zahnlückiges Lächeln, das wohl aufreizend wirken sollte.
»Na, ihr Hübschen? Sucht ihr Gesellschaft?«
»Nein«, antwortete Kalle. »Wir suchen Kapitän Hinrich Dührsen.«
»Der ist nicht hier. Ist schon ein paar Jahre her, seit er die Seejungfrau beehrt hat.«
»Das muss wohl an dem Tag gewesen sein, als die Tische das letzte Mal abgewischt wurden«, entfuhr es Erik.
Die Matrone funkelte ihn wütend an.
Verdammt, warum war ihm die Bemerkung bloß herausgerutscht? Er wollte doch einfach nur still im Hintergrund bleiben.
»Bist wohl ’n ganz Spaßiger, was?«
»Gibt’s Ärger, Edda?« Ein Mann, dessen Oberarmmuskeln seinem Schmerbauch in nichts nachstanden, erhob sich.
»Bleib sitzen, Marten, is nix weiter«, beruhigte sie ihn. Dann musterte sie Kalle. »Wenn ihr zwei hier nix trinken wollt, dann seht zu, dass ihr Land gewinnt.«
»Nu mach mal halblang, Edda. Wir suchen Hinrich, und deshalb frag ich jetzt die Leute, klar?« Kalle schob sich vor Erik. »Ich lass mir doch nicht von dir die Tür weisen.«
Seine Hand wanderte wie absichtslos zum Knauf seines langen Messers.
Edda schnaubte wie ein Pferd, sagte aber nichts mehr.
Während Kalle sich umhörte, ertappte Erik sich dabei, wie er unbewusst nach Seyfried Ausschau hielt. Aber Bridas lästiger Verehrer war nirgends zu sehen. Erik merkte, wie er vor Erleichterung aufatmete. Seyfried zu begegnen war seine größte Sorge gewesen. Der Mann hatte schon einmal die Meute auf ihn gehetzt, und er bezweifelte nicht, dass er es wieder täte. Ganz gleich, wie gut Kalle das Messer tanzen lassen konnte.
»Tja, er scheint tatsächlich nicht hier gewesen zu sein«, sagte Kalle nach einer Weile.
»War auch nicht zu erwarten«, entgegnete Erik mit einem Rundblick auf die wenig einladende Umgebung. »Und jetzt? Brida sprach von einer Fischerstube.«
»Die ist in der Nähe vom Rathaus. Na, dann schau’n wir da mal nach.«
Sie hatten die Taverne kaum verlassen, als sie mehrere Männer entdeckten, die zum Hafen eilten. Einer von ihnen war Seyfried. Kalle hatte recht, der Kerl kleidete sich in letzter Zeit wie ein reicher Geck. Dahinter mit rotem Gesicht der Pfarrer und vier Männer, die zur Stadtwache gehörten.
»Da ist er ja! Ich wusste es!«, brüllte Seyfried.
Erik spürte, wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufrichteten.
»Was will der olle Suffkopp denn?«, fragte Kalle.
»Der will nie was Gutes«, antwortete Erik leise. »Schon gar nicht, wenn er sich mit dem Pfarrer verbündet.«
»Glaubt Ihr, das geht gegen Euch?«
Bevor Erik etwas erwidern konnte, hatten die Männer sie erreicht.
»Das ist er!«, brüllte Seyfried noch einmal und zeigte auf Erik. »Er hat den Käpt’n erstochen und dann ins Hafenbecken gestoßen!«
»Was?« Erik zuckte zusammen. »Sag mal, spinnst du?« Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht mit einer solchen Anschuldigung. »Hinrich soll tot sein?«
»Quatsch, der Käpt’n ist nicht tot!«, sagte Kalle. »Das glaube ich nie und nimmer. Wann soll das denn gewesen sein?«
»Heute Mittag«, behauptete Seyfried. »Und jetzt tut dieser dänische Hund so harmlos. Dabei hat er Hinrich ins Wasser gestoßen, damit keiner die Leiche findet.«
»Du redest irre!« Erik musste sich bemühen, Seyfried nicht beim Kragen zu packen, um die Wahrheit aus ihm herauszuschütteln.
Kalle war ebenso aufgebracht. »Ach, du behauptest also, der Erik hätt den Käpt’n umgebracht, aber hast nicht mal ’ne Leiche? Werd erst mal nüchtern.«
»Der Däne ist ein Mörder!«, schrie Seyfried.
»Wenn Erik angeblich den Käpt’n heut Mittag erstochen hat und du’s gesehen hast, warum hast’s dann nicht gleich gemeldet?« Kalles Tonfall ließ keinen Zweifel daran, was er von Seyfrieds Anschuldigung hielt. »Und warum bist du Hinrich nicht nachgesprungen und hast ihn aus dem Wasser gezogen? Das ist doch alles Blödsinn!«
»Ich … ich hatte Angst, dass der mich auch umbringt. Ich bin weggelaufen und hab mich versteckt.«
»Lügner!«, schrie Kalle.
»Einen Moment«, mischte sich nun der Pfarrer ein. »Ich habe Seyfried kurz
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