Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
gesagt, dass du nicht ständig bei mir wachen musst. Brida wird mir gute Gesellschaft leisten.«
»Das werde ich.« Brida ergriff Annas zerbrechliche Hand und setzte sich auf die Bettkante.
Nachdem Claas gegangen war, wandte sich Anna mit leiser Stimme an ihre Besucherin. »Er tut mir so leid. Er kann nicht loslassen, obwohl ich es ihm doch leicht machen will.«
»Es gibt immer Hoffnung«, erwiderte Brida. »Daran klammert er sich.«
»Ja, aber meine Hoffnung liegt nicht mehr in dieser Welt. Ich habe es ihm gesagt, gestern.« Anna atmete schwer.
»Und was antwortete Claas?«
»Dass er von einem berühmten Medicus gehört habe, der in Magdeburg praktiziere.« Sie seufzte. »Er will nicht glauben, dass es nirgendwo einen Menschen gibt, der den Tod noch aufhalten kann. Er hat schon nach ihm schicken lassen. Ich habe ihn gebeten, es nicht zu tun, aber er meinte, was gelte ihm schon Geld und Besitz, wenn ich nicht da sei, es mit ihm zu teilen?« Eine einsame Träne rollte über Annas Wange. »Ich wünschte, ich wär schon tot. Damit er aufhören könnte, sich selbst zu zerfleischen. Ich habe Angst um ihn.«
»O Anna!« Brida drückte die Hand der Kranken fester. »Sag mir, was ich tun kann!«
»Bete für ihn.« Annas Stimme war kaum noch ein Flüstern. »Bete für Claas, dass er nicht den Glauben verliert. Wenn er doch auf Gott vertrauen würde, statt sein Heil bei immer neuen Ärzten zu suchen, die mir nicht helfen, sondern mich nur um den Frieden meiner Seele bringen.« Sie atmete schwer. »Vermutlich wäre es anders, wenn ich ihm ein lebendes Kind hätte schenken können, nachdem Gott die kleine Marie von uns genommen hatte.« Anna schloss die Augen. Die letzten Worte hatten all ihre Kräfte aufgezehrt. Bridas Kehle wurde eng. Sie blieb an Annas Seite, hielt schweigend ihre Hand und beobachtete das schwache Heben und Senken des Brustkorbs. Was wäre, wenn Gott Annas Wunsch erfüllte, bevor Claas zurück war? Wenn sie jetzt starb? Ohne ihn? Eine eisige Faust griff nach Bridas Herz. Das durfte nicht geschehen. Es würde ihn vernichten.
Stunde um Stunde wachte Brida an Annas Lager, wie es sonst Claas getan hatte, wartete auf seine Rückkehr. Als er endlich kam, hatte die Sonne ihren Zenit schon überschritten.
»Verzeih, ich wurde länger aufgehalten«, sagte er. Seine Miene war aschfahl. Brida trat zurück, um ihm den Platz an Annas Seite zu gewähren.
»Du hattest viel zu tun?«, fragte sie leise.
»So einiges«, antwortete er. »Aber ich habe nichts Neues über Erik erfahren, wenn du das meinst.«
»Hast du mit Willem gesprochen?«
»Nein, warum?«
Sie erzählte ihm kurz, was der Hauptmann ihnen am Morgen offenbart hatte. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, Claas’ Aufmerksamkeit gehöre nur ihr und nicht mehr seiner sterbenden Frau. Vielleicht war es ganz gut, ihn auf diese Weise ins Leben zurückzuholen, und so sprach sie weiter. »Einiges an der Sache ist merkwürdig, findest du nicht? Wer sollte einen Mann mit einem Schandmal anheuern, um Erik zu töten? Und Kalle erzählte, dass der Seyfried in letzter Zeit mit dem Geld nur so rumprasst. Dabei hat der doch Schulden über Schulden auf seinem Hof.«
»Und du glaubst, da gibt es einen Zusammenhang? Meinst du, Seyfried ist unter die Räuber gegangen und hetzt Meuchler auf?« Claas lachte. »Das ist doch Unsinn.«
»Ich sag ja nicht, dass es so ist. Aber auffällig ist es doch, oder? Es wär vielleicht ganz gut, wenn mal jemand einen Blick auf Seyfried hätte. Er wollte Erik schon einmal an den Kragen.«
»Er war betrunken, Brida. Du weißt selbst, wie schnell der Wein manchen Männern Verstand und Beherrschung raubt. Erik war nicht der Erste und wird nicht der Letzte sein, den eine aufgebrachte Meute in Gefahr bringt.«
Brida seufzte. »Wenn du meinst.«
»Das meine ich. Aber wenn es dich beruhigt, werde ich mal ein ernstes Wort mit Seyfried wechseln.«
Anna regte sich. Sofort gehörte Claas’ Aufmerksamkeit wieder ihr, und der kurze Lebensfunke erlosch, den Brida eben noch in seinen Augen gesehen hatte. Ganz so, als würde Annas Leiden ihn aus der Welt der Lebenden mit hinab in die Unterwelt ziehen. Als Brida sich verabschiedete, hatte er nur noch ein kurzes Nicken für sie übrig.
10. Kapitel
M öwen zogen schreiend ihre Kreise über dem Meer, hielten Ausschau nach leichter Beute, auch wenn das bedeutete, einen Artgenossen um den Lohn seiner Jagd zu bringen. Fast wie die Menschen, dachte Erik.
Er hatte sich im Windschatten der
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