Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
klingt! Als würde ich einen Kaufmann aufsuchen, um seine Waren zu begutachten.«
Ihre Blicke wanderten durch den Raum. Er war mindestens viermal so groß wie ihre kleine Gästestube. Neben dem Schreibpult stand ein großer Tisch mit sechs Stühlen, deren Beine ebenso fein gedrechselt waren wie jene in ihrer Kammer. In einer Nische stand ein Bett, breit genug, dass zwei Menschen bequem darin Platz gefunden hätten. Daneben ein großes Kohlebecken, dessen Beine wie Löwenpranken geformt waren, und über dem Bett hing ein Wandteppich, der eine ähnliche Ansicht des Lübecker Hafens zeigte wie der riesige Gobelin über dem Kamin in der guten Stube. Nur dass auf diesem Bild keine Kogge, sondern ein Kraier zu sehen war.
»Die Smukke Grit ?«, fragte sie. Er nickte. Ihr Blick glitt weiter. Neben dem Schreibpult befand sich ein Wandbord, auf dem einige in Leder eingeschlagene Bücher standen. Kostbare Einbände, mit Goldbuchstaben verziert. Brida musste an sich halten, um nicht danach zu greifen. Mit welchen Werken mochte Simon sich beschäftigen?
Er folgte ihren Blicken, sagte aber kein Wort.
An der gegenüberliegenden Wand hingen mehrere Waffen. Ein mächtiger Zweihänder zog als Erstes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie ging darauf zu. Das Schwert war gewiss so schwer, dass sie es kaum heben konnte. Daneben hingen ein einhändiges Schwert und ein langes Messer. Das Messer erinnerte sie an Kalles Waffe. Es war nur unwesentlich kürzer als der Einhänder.
Ihre Finger strichen vorsichtig über die Messerklinge.
»Dass Ihr damit gut umgehen könnt, habe ich erlebt.«
»Das lange Messer ist mir die liebste Waffe«, antwortete er.
»Warum? Ich dachte, das Schwert sei die Waffe eines Edelmanns.«
»Das Messer ist leichter. Wer geschickt ist, kann damit auch einen Schwertkämpfer besiegen.«
»Geschickt wie Ihr.« Sie trat von der Waffe zurück. »Barbara hat mir einiges erzählt.«
»Ich hoffe, sie hat mich nicht allzu schlecht gemacht.« Simon lächelte.
»Nein, sie liebt Euch. Sie würde gewiss nie etwas Böses über Euch sagen. Aber ihre Worte haben mich zum Nachdenken gebracht.«
Das Lächeln verschwand. Hatte sie ihn verletzt? Wie dem auch sein mochte, sie musste sich Gewissheit verschaffen.
»Für einen Moment hatte ich den Eindruck, jener Simon sei ein ganz anderer Mensch als der, den ich kennengelernt habe.«
»Sie hat Euch also von meinen Händeln berichtet.« Simon seufzte. »Seht es einmal so: Die Welt ist voller Kerle wie Seyfried. Ihr greift zur Bratpfanne, und ich nehme ein langes Messer.«
»Ich weiß nicht, ob sich das vergleichen lässt. Seyfried wurde zudringlich, ich wusste mir nicht anders zu helfen. Barbaras Erzählungen klangen anders.«
»So, als hätte ich den Streit gesucht?«
Brida schluckte. »Ja, so habe ich sie verstanden.«
Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, dennoch entging ihr das Zittern nicht, das er vor ihr zu verbergen suchte. Genau wie in den Tagen nach seiner Gefangenschaft. Auf einmal schämte sie sich dafür, ihn in die Enge getrieben zu haben.
»Verzeiht, ich wollte Euch nicht verletzen. Ihr hattet gewiss gute Gründe für Euer Handeln.«
Sie trat zum Tisch mit den Stühlen.
»Erlaubt Ihr, dass ich mich setze?«
»Selbstverständlich. Ich hätte Euch schon viel früher einen Platz anbieten müssen.« Er schob ihr einen Stuhl hin. Seine Hände waren wieder ruhig.
»Es ist so viel geschehen in den letzten zwei Tagen«, sagte sie, während sie sich vorsichtig niederließ, achtsam darauf bedacht, ihr Kleid nicht zu zerdrücken. »Und vor allem heute. Ihr wisst wieder, wer Ihr seid, aber ich habe das Gefühl, ich wüsste es nicht mehr. Und dabei war ich mir so sicher, Euch zu kennen.«
»Ich bin immer noch derselbe, Brida.« Er nahm ihr gegenüber Platz.
»Seid Ihr das wirklich? Jetzt, da ihr wieder Euren wahren Namen kennt? Wie viel von Erik steckt noch in Simon von Wickede?«
»Alles«, antwortete er. »Jeder einzelne Gedanke, den ich als Erik dachte, jedes Gefühl, dass ich als Erik verspürte. Vor allem meine Gefühle für Euch, Brida.« Er holte tief Luft. »Erinnert Ihr Euch an meine Worte in Eurem Garten, an jenem Abend, nachdem Cunard Euch gebeten hatte, seine Frau zu werden?«
»Ihr habt mir geraten, seinen Antrag anzunehmen.«
»Ja, weil ich nicht wusste, wer ich bin, und Marieke ihre neugierigen Ohren überall hatte. Aber ich habe noch etwas gesagt.«
Bridas Wangen wurden heiß. »Würdet Ihr es wiederholen?«
»Wollt Ihr es denn noch
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