Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
Klopfen an der Tür.
»Schläfst du etwa noch?« Barbara stürzte in seine Kammer, schon in Reisekleidung.
Bevor sie ihm die Bettdecke wegziehen konnte, wie sie es früher so gern getan hatte, richtete er sich auf.
»Hat Elisabeth dir immer noch nicht beigebracht, was sich schickt?«
»Ach was, du bist doch mein Bruder. Es schickt sich immer, wenn ich dir schwesterlich helfe, rechtzeitig aus den Federn zu kommen.« Ihre Augen blitzten keck, als sie ihm erneut das Bettzeug zu entreißen versuchte. Er war schneller, hielt es an einem Zipfel fest und warf ihr gleichzeitig ein Kissen an den Kopf.
»Verschwinde, du kleiner Quälgeist!«
Sie lachte und warf das Kissen zurück. »Nur wenn du aufstehst.«
»Das hätte ich längst getan, wenn ich mich deiner Angriffe nicht erwehren müsste.«
»Aber vergiss nicht, dich zu rasieren. Du stachelst schon wieder. Oder willst du auf deine alten Tage männlich wirken? So wie Jannick oder dieser überaus ansehnliche Kapitän Cunard?«
Bevor er abermals mit dem Kissen nach ihr zielen konnte, lief sie lachend aus der Tür.
Er wollte gerade nach unten gehen, da entdeckte er einen Schatten vor der Zimmertür seines Bruders.
»Pass gut auf dich auf!«, hörte er Elisabeths Stimme, ungewohnt zärtlich. Im Halbdunkel des Flurs beobachtete er, wie sie Jannick liebevoll über die Wange strich. Simon lächelte. Es war selten, Zeuge einer Zuneigungsbekundung zwischen Jannick und Elisabeth zu werden, denn seine Schwägerin hielt es für unschicklich, ihre Gefühle vor anderen zur Schau zu stellen. Er erinnerte sich daran, wie aufgebracht Elisabeth kurz nach ihrer Hochzeit gewesen war, wenn Jannick sie vor anderen in die Arme hatte nehmen wollen. Simon war damals zehn, und erstmals hatte sich etwas anderes als Liebe und Bewunderung in seine Gefühle für den großen Bruder gemischt. Mitleid. Welche Frau hatte er da heiraten müssen, die sich nicht nur vor Mäusen fürchtete, sondern sich nicht einmal anfassen ließ? In Simons Familie war es üblich, sich allenthalben zu herzen und zu küssen. Manchmal war es ihm fast schon zu viel geworden, wenn seine Mutter alle in ihrer überschwänglichen Art liebkoste. Also hatte er seinen Bruder in kindlicher Unbefangenheit gefragt, was denn mit Elisabeth nicht stimme.
»In ihrer Familie gilt es als unanständig, vor anderen seine Zuneigung auf diese Weise zu zeigen«, hatte Jannick geantwortet. »Aber wenn wir allein sind, ist das ganz anders.« Er hatte ihm zugezwinkert, aber Simon war damals noch zu jung gewesen, diese Andeutung zu verstehen.
Jahrelang hatte er seinen Bruder im Stillen bedauert, auch wenn dieser nach außen hin recht zufrieden schien. Mit Elisabeth war Simon nicht warm geworden. Er hatte das sichere Gefühl, sie mochte ihn nicht und verübelte ihm noch immer die Geschichte mit der Maus. Bis zu jenem Tag, als seine Mutter ertrunken war. Kurz nachdem er sie nicht mehr hatte halten können, war er von Fischern gerettet worden. Sie brachten ihn nach Travemünde, schickten einen Boten nach Lübeck, um die Familie zu benachrichtigen. Jannick kam, ihn heimzuholen. Und er kam nicht allein. Elisabeth begleitete ihn. Zunächst war sie zurückhaltend wie immer, doch als Jannick Fragen stellte und Simon immer nur den Kopf schüttelte, nicht erklären konnte, was geschehen war, war Elisabeth diejenige, die ihn unerwartet in die Arme schloss, ihn ungeachtet fremder Menschen ringsum an sich drückte und Jannick aufforderte, endlich mit der Fragerei aufzuhören. In diesem Moment hatte Simon zum ersten Mal ihre andere Seite gespürt, gemerkt, dass sie ihn verstand, ihn besser zu trösten vermochte als Jannick, der angesichts des Todes der geliebten Mutter nicht minder erschüttert war als sein Bruder. Seit jenem Tag betrachtete Simon seine Schwägerin mit anderen Augen und schätzte sie auf seine Weise.
Jannick eilte die Stiege hinunter, ohne sich noch einmal umzusehen. Elisabeth wandte sich um und wollte in ihr Zimmer zurückkehren. Da erst bemerkte sie Simon.
»Ihm wird schon nichts geschehen«, sagte er lächelnd. »Auch wenn ich offenbar dazu neige, Schiffsuntergänge anzuziehen.«
»Damit solltest du keinen Scherz treiben, Simon.«
»Wenn ich darüber scherze, muss ich nicht darüber nachdenken«, erwiderte er. »Leb wohl, Elisabeth. Wir sehen uns, wenn alles vorbei ist.« Er schickte sich an zu gehen.
»Simon, warte noch!«
»Ja?« Er hielt inne.
»Jannick hat mir erzählt, dass du Brida heiraten willst.«
»Hast du etwas
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