Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
dabei.«
»Ja«, sagte er leise. »Aber ich habe gelernt, es tief in mir zu verschließen. So tief, dass es nur noch als böser Traum an die Oberfläche kommen kann.«
»Simon …«
Die kleine Tür zur Kajüte öffnete sich. Es war Barbara, die Wangen von der frischen Seeluft gerötet, die Augen blitzend, doch mit einem unwilligen Zug um den Mund.
»Wollt ihr beide nicht an Deck kommen? Die Sonne scheint.«
»Was geht es dich an?«, fragte Simon zurück.
»Weil Jannick sagt, ich soll ein Auge auf euch haben, damit Bridas Ruf gewahrt bleibt. Und ich habe keine Lust, bei strahlendem Sonnenschein hier drinnen zu sitzen.«
Brida erhob sich. »Wir wollten ohnehin gerade nach draußen gehen.«
Während Brida und Barbara gemeinsam über die Reling blickten und sahen, wie Travemünde sich immer weiter entfernte, ging Simon auf seinen Bruder zu.
»Es war nicht nötig, uns Barbara nachzuschicken.«
»Ich habe dir gesagt, dass mir Bridas Ruf wichtig ist. Vor allem weil du sie heiraten willst.«
»Sie wollte kurz mit mir allein sprechen!«, brauste Simon auf. »Es gibt einige wichtige Dinge zu regeln. Dieser Seyfried hat ihren Vater niedergestochen und mir den Mordversuch angehängt.«
»Ich weiß, das hast du gestern schon erzählt.«
»Und warum hetzt du dann Barbara hinter uns her?« Simon verschränkte die Arme vor der Brust. »Und sagst ihr noch, sie soll ein Auge auf uns haben, damit Bridas Ruf gewahrt bleibt? Glaubst du wirklich, wir könnten hier Unzucht treiben?«
»Nein, das glaube ich nicht. Das wäre wohl schon gestern geschehen, wenn ich nicht zufällig in deine Kammer gekommen wäre.«
»Was?« Simons Hände ballten sich zu Fäusten. »Sag mal, was denkst du eigentlich von mir? Ich hatte nie den Ruf, ein loser Frauenheld zu sein.«
»Aber mit einem Mönch würde dich auch keiner verwechseln.« Jannick grinste, und für einen Moment zuckte Simons Faust.
»Nun beruhige dich doch, Lillebror.« Jannick verpasste ihm einen freundschaftlichen Knuff. »Seeleute sind schlimmere Schwätzer als Waschweiber. Und wenn du zu lange mit Brida allein in meiner Kajüte bleibst, könnte es einer bemerken und dumme Geschichten in Umlauf setzen.«
Simon atmete tief durch. Wie immer, wenn sein Bruder ihn Lillebror nannte, verrauchte sein Zorn, wurde erstickt von dem alten Gefühl der Zuneigung und des bedingungslosen Vertrauens, das er Jannick seit der Kindheit entgegenbrachte.
»Wann wirst du Vater sagen, dass ich Brida die Ehe versprochen habe?«
»Wenn wir zurück sind. Aber ich werde es ein bisschen diplomatischer ausdrücken.«
»Nur nicht zu diplomatisch. Er soll wissen, wie ernst es mir ist.«
»Oho, soll ich ihm sagen, dass du mit ihr durchbrennen willst?«
»Wenn’s sein muss.«
»Zu dumm, dass dein Schiff gesunken ist. Da wird es schwer werden mit dem Durchbrennen.«
»Ich könnte bei den Vitalienbrüdern anheuern oder Kalle beim Schmuggeln helfen. Der hat es mir angeboten, als er hörte, dass ich angeblich als Verräter gesucht werde.« Simon grinste.
Auf einmal verschwand das Lächeln aus Jannicks Augen, das ihr Wortgeplänkel bis dahin begleitet hatte.
»Was ist?« Simon wurde unsicher.
»Nichts weiter.« Jannick schüttelte den Kopf, als wolle er eine unangenehme Erinnerung fortwischen. »Ich habe nur daran gedacht, wie schwer es anfangs für uns war, das doppelte Spiel mitzutragen. Du ahnst nicht, wie rasch sich die Menschen voller Gier auf deinen vermeintlichen Verrat gestürzt haben. Es war das Stadtgespräch. Alle wollten es gewusst haben. Außer denen, die die Wahrheit kannten, stand keiner mehr zu dir.«
»Das war doch auch der Sinn der Sache.«
Jannick nickte schwach. »Das war es. Aber es hat mir wehgetan, wie schnell alle bereit waren, ein Urteil über dich zu fällen.«
»Mein Lebenswandel hat wohl dazu beigetragen.« Simon seufzte, dachte wieder an die zahlreichen Händel, die er mit großspurigen Kaufmannssöhnen ausgefochten hatte. Gottschalk war der erste gewesen. Damals, vor bald fünf Jahren, als Simon nach Lübeck zurückgekehrt war. Voller Selbstsicherheit, erfahren in allen Waffen und nur allzu gern bereit, sie zu erproben. Es war im Ratskeller gewesen. Gottschalk hatte schon einiges getrunken, sich mit seinen zahlreichen Liebschaften und damit gebrüstet, wie dumm die Weiber seien. Habe sich doch die Tochter eines Fleischhauers allen Ernstes eingebildet, er werde sie heiraten, nur weil sie ein Kind von ihm bekam. Er war über sie hergezogen, hatte sie als Hure
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