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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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beschimpft. Simon hatte am Nachbartisch gesessen, und je mehr Gottschalk das Mädchen mit seinen Worten entehrt hatte, umso zorniger war er geworden. Er kannte sie nicht, aber er kannte Gottschalk und seine Art, mit Frauen umzugehen. Irgendwann hatte er sich mit seinem freundlichsten Lächeln eingemischt.
    »Ich würde mir da keine Sorgen machen, Gottschalk«, hatte er gesagt. »Niemand wird dir die Vaterschaft unterstellen. Ist unter den Mägden doch allgemein bekannt, dass du keinen hochbekommst.«
    Totenstille. Gottschalk hatte ihn mit hochrotem Kopf angestarrt und im nächsten Moment sein Messer gezogen. Simon hatte nur gelacht. Kurz darauf hatte Gottschalk mit einer tiefen Fleischwunde im rechten Oberarm wimmernd den Ratskeller verlassen.
    In der Folgezeit hatten einige von Gottschalks Freunden Streit mit Simon gesucht. Er ging keinem Kampf aus dem Weg, im Gegenteil. Schon bald war er gefürchtet. »Leg dich nicht mit Simon von Wickede an«, raunten die Menschen. »Das ist noch keinem gut bekommen.« Simon gefiel das. Schon bald genügte es, nur mit der Augenbraue zu zucken, und die Feiglinge überließen ihm das Feld.
    »Ich habe es nie verstanden.« Jannicks Stimme schreckte Simon aus seiner Erinnerung. »Warum du dich mit jedem Dummkopf messen musstest, nur damit dich alle für gefährlich hielten.«
    Als sein Bruder ihm diese Frage stellte, kam es ihm auf einmal selbst unwirklich vor. Wie das Leben eines anderen. Und plötzlich kannte er die Antwort.
    »Ich habe dir nie erzählt, wie unsere Mutter starb, obwohl du mich damals immer wieder danach gefragt hast«, begann er leise.
    Jannick zuckte zusammen. »Was hat unsere Mutter damit zu tun?«
    »Als die Kaperfahrer unser Schiff damals aufbrachten, wollte sich einer auf Mutter stürzen. Ich ging dazwischen, wollte sie schützen, aber sie fiel mir in den Arm, hatte Angst, der Mann würde mich töten. Im Handgemenge, das dann folgte, fiel sie über Bord.«
    Jannick erblasste. »Sie konnte nicht schwimmen«, mur-melte er.
    »Nein«, bestätigte Simon. »Und deshalb sprang ich ihr nach. Ich fand sie und hielt sie stundenlang. Im Wasser treibend sahen wir, wie die Kaperfahrer das Schiff plünderten und alle niedermetzelten. Zum Schluss zündeten sie das Schiff an. Die Rauchsäule begleitete uns eine Ewigkeit. Und eine Ewigkeit harrten wir im Wasser aus. Ringsum nur Meer, fernab jeder Küste.«
    Simon brach ab, als er das Gesicht seines Bruders sah - fahl wie ein Leichentuch.
    »Was geschah mit Mutter?« Es war kein Vorwurf in Jannicks Stimme, nur tiefe Trauer.
    Simon atmete tief durch, schluckte, atmete noch einmal. Es fiel ihm schwer, die Worte hervorzubringen, Jannick sein Versagen einzugestehen, von den Stunden im Meer und von dem Augenblick zu berichten, da ihn die Kraft verlassen und er die Mutter losgelassen hatte …
    Als er geendet hatte, wandte er den Blick ab. Er wollte nicht, dass Jannick das feuchte Schimmern in seinen Augen sah.
    »Warum hast du mir das nie erzählt?« Jannicks Stimme zitterte, als er Simon sacht die Hand auf die Schulter legte.
    »Ich konnte es nicht«, flüsterte Simon. »Hätte ich nur ein wenig länger ausgehalten, dann würde sie noch leben. Wenige Augenblicke, nachdem ich sie losgelassen hatte, sah ich das Fischerboot am Horizont.«
    »Lillebror, du warst erst vierzehn!« Jannick riss ihn an der Schulter herum, zwang ihn, seinem Blick standzuhalten. Auch in den Augen seines Bruders glänzten Tränen. »Du hast getan, was du konntest. Mutter hätte nie gewollt, dass du mit ihr stirbst, wenn du leben kannst.«
    »Das habe ich mir auch immer wieder gesagt. Aber wenn ich damals schon gekonnt hätte, was ich heute kann, glaubst du wirklich, es wäre geschehen? Ich hätte das Schwein, das über unsere Mutter herfallen wollte, sofort niedergestreckt.«
    »Langsam fange ich erst an, dich zu verstehen, Simon. Verzeih mir!« Im selben Moment drückte er ihn an sich, und Simon spürte das Beben, das durch Jannicks Körper ging, all den Schmerz, den sein Bruder in den Jahren nach dem Verlust der Mutter gelitten und sich doch niemals eingestanden hatte. Und zum ersten Mal begriff Simon, welche Bürde auch Jannick getragen hatte, er, der Ältere, der immer mannhaft bleiben musste, seine Trauer nicht zeigen durfte, obwohl er ihre Mutter ebenso sehr geliebt hatte.

17. Kapitel
    E in leichter Dunstschleier hing über der Küste Fehmarns, als die Elisabeth sich der Insel näherte. Jannick ließ sein Schiff auf der Höhe von Kalles Bucht vor

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