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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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gehen weiter, als wenn nichts wäre«, flüstert er. »Direkt
auf die Posten zu.«
    »Was ist das?«
    »Passierscheine. Ausgestellt auf Walter Holz und Werner Schmidt,
Prokuristen.«
    »Gefälscht?«
    »Ich bitte Sie! Echt, selbstverständlich. Mein Job verschafft mir
gewisse Privilegien.«
    Was ist das für ein Geheimdienst, denkt Stave, der MacDonald
innerhalb von Stunden passende Papiere besorgen kann, ihn aber fallen ließe,
wenn sein Verhältnis mit einer verheirateten Deutschen zum gesellschaftlichen
Skandal wird? Muss ein sehr britischer Spleen sein. »Wissen die Posten, wer wir
sind?«, zischt er.
    »Nein. Außer zwei verschwiegenen Freunden im Dienst weiß das
niemand. Wenn uns der Sergeant beim Herumschleichen ertappt, wird er uns
bedenkenlos niederschießen.«
    »Ich werde mich so bewegen, dass Sie stets zwischen mir und den
Posten stehen.«
    »Sie hätten wirklich Soldat werden sollen.«
    Inzwischen sind sie am Tor. MacDonald zeigt die Papiere. Der
Sergeant mustert sie länger als die anderen Männer, die müde an den Posten
vorbeischlurfen. Hoffentlich nur, weil er unsere Gesichter noch nie gesehen
hat, fleht Stave stumm.
    »Move on«, kommandiert der Unteroffizier schließlich, reicht ihnen
die Passierscheine und winkt ungeduldig mit der Hand.
    »Wohin jetzt?«, flüstert MacDonald.
    Der Oberinspektor deutet auf ein fünfgeschossiges, schmutzigbraunes
Gebäude im Zentrum der Werft. »Das muss die Verwaltung sein. Der einzige Ort
weit und breit, an dem Jackettträger nicht auffallen. Dort sehen wir weiter.«
Die Lagerhalle, in der sie Adolf Winkelmann auf dem Blindgänger entdeckt haben,
ragt am anderen Ende der Werft auf, in der diesigen Luft kaum auszumachen. Kein
Arbeiter macht sich dort zu schaffen, die meisten verschwinden Richtung Docks.
Wäre unklug, auf direktem Wege zu diesem Bauwerk zu gehen. Und wahrscheinlich
werden wir dort sowieso nichts finden, vermutet Stave.
    Am Eingang des Verwaltungsgebäudes wären sie beinahe einer Gruppe
Männer in den Weg gerannt – Männern in Schlips und Kragen, bewaffnet mit
Aktentaschen, Rechenschiebern, Notizheften und sehr in Eile. Ihnen schreitet
ein Herr voran, etwa fünfzig Jahre alt, schütteres Haar, aristokratische
Gesichtszüge, feines Leinen, Halbschuhe in einer Qualität, die Stave seit
Kriegsausbruch nicht mehr gesehen hat.
    Der Oberinspektor macht MacDonald ein Zeichen, sich dem Tross
unauffällig anzuschließen. Zwei, drei misstrauische Blicke, doch niemand sagt
etwas. Zu energisch schreitet der Mann an der Front aus, zu beflissen ist seine
Entourage, als dass irgendjemand wagt, eine Frage zu stellen.
    »Das ist Rudolf Blohm«, zischt Stave. »Der ältere der beiden Brüder,
denen die Werft gehört. Ich kenne sein Bild aus der Wochenschau.«
    »Der Wochenschau von vor 1945 oder der seit 1945?«
    »Der Wochenschau vor 1945. Blohm war ein großer Freund der Nazis.
Vorstand im Deutschen Museum. Ehrenposten. Führerempfang.«
    »Wenn die Nazis mich bezahlt hätten, um die ›Bismarck‹ zu bauen,
hätte ich auch ›Heil Hitler‹ gerufen.«
    »Ihr Engländer habt die Hälfte meiner Kollegen bei der Polizei
entlassen. Aber dieser Kerl läuft immer noch frei auf seiner Werft herum.«
    »Einer Werft, die wir demontieren«, erwidert der Lieutenant und
lächelt kurz.
    »Wenn Sie sich da man nicht täuschen«, murmelt Stave, aber so leise,
dass ihn der Brite nicht mehr versteht. Sie sind die letzten beiden im Tross
hinter Rudolf Blohm. So weit hinten, dass die anderen Angestellten sich
umdrehen müssten, um mit ihnen zu reden, was niemand wagt. Aber noch immer so
nahe dran, dass jeder Arbeiter denken muss, dass sie zur Gruppe gehören.
Unbehelligt marschieren sie quer über das Werftgelände. Irgendwann erkennt
Stave, wohin sie sich wenden. »Das ist die Halle, in der wir den Jungen
gefunden haben«, flüstert er.
    Blohm hält auf den Eingang zu. Im letzten Moment springt der jüngste
Mann in seinem Gefolge vor und reißt die Holztür auf. Der Werftbesitzer stürmt
hindurch, alle folgen ihm. Auch Stave und MacDonald schlüpfen hinein. Die Tür
knallt hinter ihnen zu. Der junge Mann ist draußen geblieben, bemerkt der
Oberinspektor. Hält wohl Wache – was auch kein Wunder ist.
    Denn die Lagerhalle ist nicht länger leer. Vor den Wänden stehen die
Werkzeugmaschinen, die Stave bei seinem letzten Besuch noch draußen gesehen
hat. Sie sind auf Balken aufgebockt, einige ruhen in Kisten. Die Metallteile
glänzen nun, es stinkt nach Schmieröl und Fett. Die

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