Schieber
Lohn, 7,60 Reichsmark am Tag. Sogar auf die
Gewerkschaften, die die ständigen Arbeiter bevorzugen.
Stave hört von einem wilden Streik, den die Unständigen vor einigen
Tagen organisiert haben, gegen den Widerstand der Gewerkschaften. Er hört die
Flüche und sieht die Hände Pehns und fragt sich, was er mit denen wohl
anrichten würde, wenn er einmal richtig wütend wird. Kann ja noch heiter
werden. Er möchte gerne etwas abrücken, doch auf der anderen Seite hockt MacDonald,
schon eng an das stählerne Schanzkleid der Barkasse gedrückt.
Der Engländer deutet nach draußen, stumm. Er wagt kein Flüstern
mehr, auch er hat Pehns’ Tiraden angehört. Stave folgt der Geste mit den Augen,
erkennt zunächst einige Ewer am gegenüberliegenden Kai, aus denen Arbeiter
schon zu dieser frühen Stunde Kohlen schippen. Voraus liegen die Docks von
Blohm & Voss, dahinter das Becken des Werfthafens, wo ein Frachter
festgemacht hat. Als die Barkasse näher heranwankt, erkennt er den geraden Steven,
die plumpe Rumpfform, den Schornstein, die amerikanische Flagge am Heck,
schließlich den Namen: »Leland Stamford«.
»Verdammte Scheiße«, entfährt es ihm.
Pehns blickt ihn erstaunt an. Er hätte dem Mann im Anzug neben ihm
derartige Worte niemals zugetraut. Dann lächelt er anerkennend und schlägt ihm
die Pranke auf die Schulter. »Keine Sorge«, dröhnt er, »diese Liberty-Schiffe
gehen dauernd kaputt. Ist ganz normal, dass die nach dem Entladen hierhin
verholt werden. Aber so schnell, wie die einen Schaden haben, so schnell werden
die auch wieder repariert. Die Kollegen von der Werft kriegen das schon wieder
hin. Der wird pünktlich auslaufen.«
»Da bin ich beruhigt«, murmelt Stave. Sein Herz rast, er fühlt sich
enttarnt. Wenn die Barkasse bloß schon am anderen Ufer wäre! Das ist kein
Zufall, sagt er sich. Ausgerechnet die »Leland Stamford«, die ihm
Tätowier-Willi als Schmuggelschiff genannt hat, liegt nun bei Blohm & Voss.
»Wann soll sie ablegen?«, wagt er zu fragen. Kann sein, dass er sich damit
endgültig als Ahnungsloser zu erkennen gibt, aber er muss seine Neugier einfach
stillen.
»Übermorgen, mit der ersten Flut«, sagt Pehns, nur noch halb bei der
Sache. Er wendet sich schon wieder seinem dösenden Nachbarn zu, um weiter über
den Stall zu schimpfen und neue Streiks zu fordern.
Morgen ist der letzte Tag ihrer Frist. Wenn sie bis dahin nichts
haben, dann droht MacDonald Palästina. Er hat sicherlich alles mitgehört. Da
spürt Stave einen leichten Ellenbogenstoß. Der Lieutenant. Wieder eine Geste
nach draußen, wieder dauert es einen Moment, bis der Oberinspektor begriffen
hat: Sie fahren an Blohm & Voss vorbei. Der Kripo-Mann spürt, wie ihm die
Adern an der Schläfe schwellen. Sie sind in die falsche Barkasse gesprungen, er
könnte sich selbst in den Hintern treten dafür. Hilflos sieht er, wie das große
Dock, wie der Werfthafen langsam nach achteraus aus der Sicht verschwindet,
während die Barkasse, immerhin langsamer werdend, tiefer ins Labyrinth der
Becken und Stichkanäle hineingleitet. Zerbombte Schuppen zu beiden Seiten. Das
Wrack eines Dampfers im Fahrwasser, um das der Barkassenkapitän mit Schwung
herumsteuert, dann nach Backbord hält.
Kuhwerder Hafen, immerhin. Das nächste große Becken hinter der
Werft. Rissige Kaimauern, die grotesken Stahlskulpturen einiger von Explosionen
abgeknickter Kräne, ein ziemlich großer und neuer Frachter am Pier, die Flagge
schlaff am Heckstock. Stave erkennt Farben auf dem Tuch, blau, weiß, rot, doch
keine Formen. Ein US-Schiff ist das nicht, auch kein Engländer. Eine niedrigere
hölzerne Anlegestelle im Kuhwerder Hafen. Die ungeduldigsten Arbeiter stehen
schon auf, obwohl noch mindestens zehn Meter zwischen der Barkasse und dem Ufer
liegen. MacDonald bedeutet Stave, sitzen zu bleiben. Kann nicht schaden, als
Letzte von Bord zu gehen.
Der Oberinspektor blickt sich um, während eine Gangway auf das Holz
der Anlegestelle knallt und ihr Boot mit einem Rumpeln gegen die hölzernen
Dalben schlägt. Sie müssen das langgestreckte Hafenbecken bis zu dessen Ende
gehen und sich dann nordwärts halten. Vom Ende des Beckens sind es noch ein
paar Dutzend Meter, dann beginnt das Werftgelände. Fragt sich nur, wie sie –
zwei Männer in Jackett – zwischen Kais, Gleisen und zerstörten Schuppen
unauffällig dorthin kommen.
Er stolpert schließlich über die Gangway. Seine Beine sind
eingeschlafen vom Sitzen auf der harten Holzbank. Der Barkassenkapitän
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