Schieber
leer.«
»Sie haben die restliche Ware nicht selbst auf den Frachter
gebracht?«
»Komisch, nicht wahr? Aber da muss jemand nachts gekommen sein und
die Tonbänder fortgeschafft haben.«
»Auf das Schiff?«
»Sie waren auf jeden Fall nicht mehr da. Einige Zeit später lief
dann das gleiche Geschäft noch einmal: Zettel im Spind, Tonbänder in der Halle,
ich hab den Jutesack an Bord eines Schiffes gebracht, am nächsten Morgen gab es
Zigaretten und kein Schiff und keine Tonbänder mehr da.«
»Handelte es sich wieder um ein amerikanisches Schiff?«
»Ja.«
»Das gleiche wie beim ersten Mal?«
»Immer die ›Leland Stamford‹.« Ein kurzes Lachen. »Möchte wissen,
wie sie es anstellen, jedes Mal eine Panne zu haben, wenn sie in Hamburg sind.«
Stave glaubt keine Sekunde mehr daran, dass der Liberty-Frachter
einen Schaden hat. Alles vorgetäuscht, denkt er. Das Verholen zur Werft, der
zusätzliche Aufenthalt – das Geschäft muss ziemlich viel für jemanden
einbringen, dass er sich so viel Mühe gibt. »Wo waren die Säcke mit den
Tonbändern versteckt?«
»In der Halle mit dem Blindgänger.«
Der Oberinspektor ist nicht überrascht. »Wo der Junge ermordet
worden ist?«
»Genau. Schreckliche Sache. Ich wusste ja, dass in der Halle ein
Blindgänger steckte. Ich habe mir direkt nach Kriegsende unsere Werft angesehen
und bin da zufällig hineingestolpert.«
»Sie haben die Bombe nicht gemeldet?«
Gehrecke starrt zu Boden. »War doch das ideale Versteck«, murmelt
er. »Wenn da jemals einer nachgesehen hätte, der hätte Reißaus genommen. Da
konnte ich Ware zwischenlagern, bis ich sie auf die Schiffe bringen konnte. War
meine Geschäftsidee: Transport und Lager. Zunächst brachte das wenig, weil ja
1945 kaum Schiffe in den Hafen fuhren, geschweige denn auf unsere zerbombte
Werft. Aber nach und nach lief es besser. Ich war ziemlich überrascht, dass die
Tonbänder genau in dieser Halle versteckt waren. Muss jemand auf die gleiche
Idee gekommen sein wie ich.«
Oder jemand hat dich beobachtet, denkt der Oberinspektor, sagt aber
nichts. Ein Lager voller Tonbänder. Jemand, der fähig ist, irgendwann,
wahrscheinlich nachts oder am Wochenende, diese Tonbänder dort zu deponieren.
Der ebenfalls fähig ist, nachts die Fracht auf ein Schiff zu schaffen. Warum
benutzt der einen Arbeiter, um am helllichten Tag ein, zwei Tonbänder vorab auf
eben jenen Frachter zu schmuggeln? Proben, mutmaßt er, es sind Warenproben.
Damit jemand an Bord Zeit hat, sich die Bänder anzuhören. Was mag darauf zu
hören sein? Nazi-Geheimnisse? Geständnisse? Wen würde so etwas interessieren?
Geheimdienste. In diesem Fall wohl: amerikanische Geheimdienste. MacDonald weiß
davon offenbar nichts. Wäre interessant zu fragen, ob er bis hierhin die
gleichen Schlussfolgerungen gezogen hat. Vielleicht will er jetzt doch dringend
mal auf die »Leland Stamford«, um dort ein paar Verhöre durchzuführen.
»Sagt Ihnen der Name Walter Kümmel etwas?«, will der Kripobeamte
wissen.
Gehrecke schüttelt den Kopf. »Nie gehört.«
»Haben Sie jemals einen Mann auf der Werft gesehen, der nicht
hierher gehört?« Stave beschreibt das Äußere des Boxpromoters.
Der Arbeiter seufzt verdrossen. »Nein. Ein Kerl mit gebrochener Nase
und gutem Anzug wäre mir bestimmt aufgefallen.«
Der sagt das so gleichmütig, dass es keine Lüge sein kann, schließt der
Oberinspektor enttäuscht. »Waren Sie an dem Morgen dabei, als der tote Junge
gefunden wurde?«
»Nicht direkt. Ich hab gesehen, dass ein paar Kollegen Abschnitte
der Werft inspizierten, die wir nicht nutzen. Noch nicht. Der alte Blohm aber
hat da ein paar Ideen, also hat er einige Arbeiter ausgesandt, um zu sehen, was
wir demnächst wieder aufbauen könnten. Ich dachte mir schon, dass sie den
Blindgänger entdecken werden und dann die Feuerwerker holen. Dann wäre mein
schönes Geschäft hin gewesen.«
»Kannten Sie den Jungen?«
»Nie gesehen. Als der Alarm kam, habe ich zunächst nur an den
Blindgänger gedacht. Aber der Rest der Geschichte sprach sich schnell herum.
Also habe ich mich unauffällig bis zur Halle geschlichen, während die Kollegen
auf die Polente und die Feuerwehr warteten. Der Junge ist nicht von der Werft.«
»Standen noch Ihre sehr speziellen Waren in der Lagerhalle?«
MacDonald hebt die Pistole wieder.
»Ich schwöre: Nein!«, ruft Gehrecke. Mittlerweile hält er seine Arme
so lange in die Höhe, dass ihm der Schweiß in Rinnsalen an beiden Schläfen
hinunterläuft. Sein
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