Schieber
Wären nicht
die meisten Männer brennend daran interessiert zu wissen, was sie da in den
Hafen und auf die Schiffe schmuggeln? Würde nicht jeder irgendwann einen Sack
öffnen, den Deckel einer Kiste lüften, bloß, um wenigstens einmal nachzusehen?
Und umgekehrt: Wer wäre gewillt, sich über Monate hinweg immer wieder in die
Nähe eines Blindgängers zu wagen, um dort irgendetwas zu verstecken, von dem er
nicht einmal weiß, was es ist? Und wer würde sich für dieses Risiko mit ein
paar Zigaretten und etwas Butter abspeisen lassen? Der Kerl neben mir ist
einfach gestrickt, schließt der Kripobeamte, zu einfach für diese Art von Mord.
»Ich kann nichts ausschließen«, beantwortet er Gehreckes Frage.
Er lässt den Arbeiter auf der hintersten Bank hocken. Der wird mir
schon nicht in die Elbe springen, hofft er und schlendert zu MacDonald hinüber,
der im Schatten des kurzen Brückenaufbaus sitzt, sich mit der Linken Luft
zufächert und in der Rechten, die er unauffällig zwischen seinen Knien hält,
seine Pistole umklammert. »Falls unser Freund auf dumme Gedanken kommt«,
flüstert er so leise, dass ihn der Arbeiter nicht hören kann.
»Ich werde Gehrecke verhaften und bei uns weiter verhören.
Vielleicht kriege ich noch etwas aus ihm heraus. Außerdem versuche ich Breuer
von einer Razzia zu überzeugen, für die übernächste Nacht. Dann nehmen wir den
Schmuggler hoch.«
»Blohm & Voss ist englisches Sperrgebiet«, erinnert ihn der
Lieutenant und schüttelt bedauernd den Kopf. »Kein Zugriff für die deutsche
Polizei. Und kein Gedanke daran, dass wir Briten dort eine große Aktion starten
werden. Nicht, wenn die Stimmung so angespannt ist wie zur Zeit. Nicht, wenn es
sich dabei bloß um den Schmuggel von einigen Tonbändern handelt. Nicht, wenn
darin auch noch ein Schiff unserer amerikanischen Verbündeten verwickelt ist.«
Er hebt die Hand, um Staves Protest zu unterbinden. »Ich weiß, dass der Junge
dort gestorben ist und dass Sie denken, der Schmuggler hat ihn auf dem
Gewissen. Gouverneur Berry will den Fall aufgeklärt sehen – aber nicht auf
diese Art. Empörung und Streiks auf der Werft, Unruhe in Hamburg, Verstimmung
in London und Washington.«
»Immerhin müssten Sie dann nicht alleine nach Palästina gehen. Berry
käme mit.«
»Großartige Idee. Dann habe ich schon einen guten Freund am neuen
Einsatzort.«
»Was schlagen Sie stattdessen vor?«
»Ich nehme Gehrecke in meinem Jeep mit. In einem englischen
Militärgefängnis fällt er nicht so auf. Könnte ja sein, dass ihn in der
Kripo-Zentrale jemand erkennt und dieser Jemand wiederum einem Schmuggler einen
Tipp gibt.«
»Wollen Sie sagen, einer meiner Beamten ist korrupt?«
»Ihre Kollegen sind schlecht bezahlt. Und dem einen oder anderen mag
es auch ganz recht sein, wenn wir Briten auf der Werft Ärger mit den
Kommunisten haben. Lenkt von alten Sünden ab.«
»Also schön: Gehrecke gehört Ihnen. Und was mache ich?«
»Haben Sie jemanden, dem Sie hundertprozentig vertrauen?«
Stave denkt an Ehrlich. Aber gerade ihn will er im Moment lieber
nicht sehen. »Nein«, erwidert er und merkt selbst, dass das kläglich klingt.
»Dann müssen Sie sich etwas überlegen, wie wir das alleine
durchziehen können. Ohne weitere Hilfe.«
»Wir gehen wieder auf die Werft?«
»Übermorgen Nacht. Heimlich.«
»Nachts fahren nicht einmal Barkassen!«
»Ich sagte ja: Sie müssen sich etwas überlegen.«
An den Landungsbrücken steigen sie aus, der Arbeiter
gehorsam in ihrer Mitte. Erst als sie an der Straße vor einem englischen Jeep
stehen, MacDonald mit rascher Geste ein Paar Handschellen aus einem Fach im
Wagen holt und sie um die Handgelenke Gehreckes klicken lässt, geht dem ein
Licht auf. »Sie sind gar nicht von der Polente!«, ruft er verblüfft.
»Das ist zu kompliziert, um das jetzt zu erklären«, erwidert Stave
müde. »Ihnen wird nichts geschehen.«
Gehrecke starrt ihn ungläubig an, dann MacDonald. »Sie haben mich
hereingelegt«, flüstert er.
»Sie bekommen einen fairen Prozess«, beruhigt ihn MacDonald. Es ist
das erste Mal, dass er Gehrecke anspricht. »Wenn Sie die Wahrheit gesagt haben,
dann sind Sie ein kleiner Helfer beim Schmuggel. Das bringt Ihnen einige Monate
Gefängnis, mehr nicht.«
»Ich habe Kinder zu Hause«, protestiert der Arbeiter.
»Daran sollte man denken, bevor man sich auf solche Sachen
einlässt«, brummt Stave. Er mag Gehrecke nicht und seine miesen kleinen
Geschäfte schon gar nicht, hat aber trotzdem ein
Weitere Kostenlose Bücher