Schieber
schlechtes Gewissen.
»Vielleicht kommen Sie mit Bewährung davon«, setzt er ohne echte Überzeugung
hinzu.
Der gefesselte Arbeiter steigt umständlich in den britischen Jeep.
MacDonald startet den Motor. »Wir telefonieren!«, ruft er über den rasselnden
Zwölfzylinder hinweg, bevor er losbraust.
Auf dem langen Rückweg kehrt der Oberinspektor in einer
Gaststätte ein und bestellt einen Kartoffelsalat mit Gurken. Die Gurken sind
schon angetrocknet und gewellt, die wässrige Sauce des Salats hat einen Stich
ins Vergorene. Er schmeckt es nicht, kaut mechanisch, wirft ein paar
Reichsmarkscheine auf den Tisch und marschiert weiter.
Verdammte Sonne. Ihn schwindelt. Wie soll er in dieser Hitze
nachdenken? Ich bin verflucht, sagt er sich, ich trage ein unsichtbares Zeichen
auf der Stirn, das mich für alle Zeiten markiert. Der Asphalt unter seinen
Füßen ist in der Hitze weich geworden wie ein alter Teppich. Im Feuersturm 1943
hat der Asphalt gekocht. Da flohen Frauen und Kinder aus ihren brennenden
Häusern und blieben darin stecken. Sie schlüpften aus den in der teerigen Masse
festsitzenden Schuhen, rannten weiter, nur ein paar Schritte, dann klebten ihre
bloßen Füße bis zum Knöchel im kochenden Asphalt. Und dann kam das Feuer. Am
nächsten Morgen schickte der Gauleiter die Polizei dorthin, eine Absperrung
bilden um die festgebackenen Leiber – gegen die Schaulustigen, gegen Plünderer,
gegen verzweifelte Angehörige, die ihre Liebsten aus dem wieder erstarrten Asphalt
ziehen wollten. Stave war dabei gewesen und hatte genau gewusst, wie die
Angehörigen sich fühlten. Wochen zuvor hatte er Margarethes Körper aus den
Trümmern ihres zerbombten Hauses ziehen wollen, doch sie hatte zwischen zwei
Betonplatten festgesteckt. Er hatte gezerrt und gezerrt, bis sich eine schwere
Hand auf seine Schulter legte und ihn seinerseits fortzog.
Anna hat recht, fährt es ihm durch den Kopf: Ich muss mich selbst
retten. Ein zweites Mal wird es keine starke Hand von irgendwoher geben, die
mich aus den Trümmern zieht.
Konzentrier dich auf den Fall, auf die Werft, auf den Schmuggler,
auf die übernächste Nacht. Dann bringst du deine privaten Sachen in Ordnung. Er
wird es allein mit MacDonald über die Bühne bringen müssen. Sie werden sich in
der Nähe der »Leland Stamford« verstecken und warten. Und wenn es nicht ein
Schmuggler ist, sondern eine ganze Bande? Sie haben zwei Pistolen. Und sie
haben das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Spiel bloß nicht den Helden,
ermahnt er sich dann. Denk lieber nach. Bevor du von einer Schießerei wie in
einem amerikanischen Gangsterfilm träumst, mach dir lieber Gedanken, wie du
nachts überhaupt ungesehen auf die andere Elbseite kommst.
Doch er fühlt sich, als schwappte heißer Brei unter seiner
Schädeldecke. Ihm will nichts Vernünftiges einfallen. Später, macht er sich
Mut, später kühlt die Luft ab. Setz dich auf deinen Balkon und denk nach. Und
vielleicht gibt es ja wieder Wasser. Ein kaltes Bad wäre jetzt nicht schlecht.
Als er endlich seine Wohnungstür aufstößt, ist er so
erschöpft, dass er den kleinen Zettel zunächst übersieht, der auf dem Flurboden
liegt. Er taumelt ins Bad, dreht den Hahn auf: Wasser! Ein rostrotes Rinnsal,
lauwarm. Er reißt sich die verschwitzte Kleidung vom Leib, legt sich in die
Wanne, lässt sich von der Brühe umspülen, eine köstliche Stunde lang, bis er
sich mit Gänsehaut schüttelt. Ein frisches Hemd, er ist schon auf halbem Weg
zum Balkon, als er noch einen Blick den Flur hinunter wirft. Ein Zettel. Karls
Schrift.
»Vater, ich komme morgen zum Abendessen vorbei. Ich bringe einen
Salatkopf mit, den ich gegen ein paar Tabakblätter eingetauscht habe. Und Tabak
bringe ich auch mit.«
Staves Herz rast, im Kopf überschlägt er hektisch Zeiten,
Wegstrecken. Gleichgültig, wann er morgen seine Wohnung verlässt, und
gleichgültig, wie er schließlich über die Elbe gelangt: Wenn er bei Blohm &
Voss auf den Schmuggler wartet, wird es dunkel sein. Es ist beinahe die
kürzeste Nacht des Jahres. Wann wird die Sonne untergehen? Um zehn Uhr abends?
Eher noch später. Er wird es niemals pünktlich zurück zum Abendessen schaffen.
Aber er kann MacDonald jetzt nicht im Stich lassen.
Er wird einen Zettel an die Tür heften, reißt schon ein Blatt aus
einem alten Notizblock, setzt sich an den Küchentisch, schreibt: »Warte auf
mich! Komme später, bin in unaufschiebbarer Angelegenheit unterwegs. Aber ich
komme auf jeden Fall!«
Stave liest
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