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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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auf den letzten
Kilometern aus Sibirien?
    Und so faltet der Oberinspektor das Schreiben sorgfältig zusammen,
bis es ganz klein ist, steckt es in die Innentasche seines Sommerjacketts,
zieht behutsam die Tür zu seinem Büro zu und verlässt kurz darauf die
Kripo-Zentrale. Der Pförtner, der am Ausgang döst, blickt kaum auf, als Stave
an ihm vorbeigeht, und grüßt wie immer.
    Stave blickt auf seine Uhr: eine halbe Stunde bis zur
Vorstellung in den Kammerspielen. Das wird er schaffen. Er eilt an Planten un
Blomen vorbei, biegt in die Rothenbaumchaussee ein. Bäume, Villen, viele von
den Briten requiriert. Selbst der Asphalt der Straße ist unbeschädigt, der
Gehweg gefegt. Spaziergänger, manche in eleganter Garderobe, die in gleicher
Richtung unterwegs sind wie er. Der Oberinspektor wird sie im Theater
wiedersehen, vermutlich auf den besseren Plätzen. Er passiert das Stadion des
HSV, in dem auch Walter Kümmel einige seiner populärsten Boxkämpfe veranstaltet
hat. Stave jedoch ist zu aufgeregt und verwirrt, um nun über diesen Mordfall
nachzudenken. Morgen. Morgen wird er weitermachen und sich zugleich auf die
Ankunft seines Sohnes vorbereiten. Wie? Er ist systematisch veranlagt, er wird
sich eine Liste machen, kleine Notizen, was zu tun ist. Alles muss gut werden,
perfekt. Morgen.
    Zwanzig Minuten später biegt Stave in die Hartungstraße ein, die eng
ist und noch mit Kopfstein gepflastert, hohe, vier- und fünfgeschossige
Gründerzeitbauten zu beiden Seiten. Nach ein paar Metern sieht er links die
Kammerspiele, davor eine Menschentraube, aus der Stimmen und Lachen in den
fahlblauen Abendhimmel aufsteigen, ein erwartungsvolles Summen.
    Die Kammerspiele sind erst vor zwei Jahren gegründet worden und
residieren in einem ehemaligen Kino, dessen Eleganz sich an die wuchtige
Architektur der Nachbarschaft anpasst, das allerdings bloß bescheidene drei
Stockwerke aufragt. Stave fragt sich, wie es Ida Ehre – Intendantin, Gründerin,
Schauspielerin und Seele des Theaters – gelungen ist, den Engländern die
Erlaubnis abzuluchsen, gerade hier ihr Haus zu eröffnen, im feinsten, am
wenigsten zerstörten Viertel der Stadt. Wäre doch ein idealer Ort für einen
Offiziersclub.
    »Darf ich Anzeige erstatten?«
    Stave fährt erschrocken zusammen. Anna steht lächelnd vor ihm, ist
aus dem Gedränge vor dem Theater herausgetreten. Er hat sie nicht gesehen, hat
überhaupt nicht auf das geachtet, was sich vor ihm abspielt. Er fängt sich,
deutet eine Verbeugung an.
    »Wen möchtest du anzeigen?«
    »Meinen Geliebten, weil er mich nicht belästigt.«
    Stave spürt, wie ihm das Blut ins Gesicht schießt. In der braunen
Zeit war es verpönt, Zärtlichkeiten öffentlich zu zeigen. Nach Margarethes Tod
war er dann jahrelang keiner Frau nahegekommen – ihm fehlt die Leichtigkeit der
Zweisamkeit.
     »Wird sofort erledigt«,
murmelt er und küsst sie.
    Anna hakt sich bei ihm ein und führt ihn langsam Richtung Eingang,
wo Theaterdiener die Glastüren zum Foyer öffnen.
    »Entschuldige. Ich war in Gedanken. Und ich fürchte, dass auch mein
Äußeres zu wünschen übrig lässt. Inmitten dieser Reichen und Schönen fühle ich
mich schäbig gekleidet.«
    »Ich schäme mich nicht für dich«, sagt sie lachend, wird ernst. »Es
war ein langer Tag?«
    Der Oberinspektor nickt nur.
    »Erfolgreich?«
    »Ich habe ein paar neue Ansätze für Ermittlungen«, erwidert er bloß
vage. Eigentlich sind seine Gedanken nicht bei dem Mordfall, sondern bei Karls
Heimkehr. Und eigentlich will er am liebsten gar nichts sagen.
    Schweigend gehen sie an die Garderobe, stehen endlose Minuten in der
Schlange. Schweigend suchen sie ihre Plätze. Schweigend überfliegen sie das
Programmheft. Es entgeht Stave nicht, dass ihm Anna hin und wieder forschende
Blicke zuwirft. Er ist erleichtert, als im Saal endlich das Licht erlöscht.
    »Wir sind noch einmal davongekommen.« Ein Stück von Thornton Wilder,
Stave kann sich noch an die Schlagzeilen vom März erinnern. Glanzvolle
Premiere! Eleganz! Drama! Modernität! Die frische Luft der weiten Welt nach all
dem Muff der braunen Jahre! Er war so stolz gewesen, als er für sich und Anna
Karten ergattert hatte, Karten, so teuer, dass sie ein Beamter der Kriminalpolizei
eigentlich nicht erstehen sollte.
    Und nun folgt er den Schauspielern kaum. Wären die Dialoge
chinesisch, er würde es nicht einmal bemerken. Wir sind noch einmal
davongekommen … Nur das geht ihm im Kopf herum. Und Gedanken an Karl, Karl,
Karl.
    Arm in

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