Schieber
aus dem
Angebot aussuchen.« Er lacht, kurz und hart. »Die Männer liegen irgendwo unter
der Erde. Oder sie hocken beim Iwan in Sibirien, bis ihnen der Allerwerteste
abfriert. Da sind die Frauen dankbar für jeden, der ein wenig nett ist zu ihnen
und ihnen ab und zu eine Zigarette oder einen Sack Kartoffeln ins Haus bringt.«
»Oder einen Sack Kohlen.«
»Mit Kohlen sind Sie der Witwenkönig. Gibt immer eine, bei der man
unter die Bettdecke schlüpfen kann. Macht es Ihren Kollegen nicht so einfach,
unsereiner zu finden. Und angenehm ist es auch.« Wieder das freudlose Lachen.
»Man muss nur aufpassen, dass nicht irgendwann der Iwan den Mann entlässt und
der plötzlich vor der Tür aufkreuzt.«
»Aber dich haben meine Kollegen aufgegriffen.«
»Ich war am Bahndamm mal unvorsichtig. Künstlerpech.«
»Und warum bist du noch nicht wieder ausgerückt, zu deiner Witwe?«
Arne schüttelt den Kopf, ganz ernsthaft nun. »Mir drohte ein
Verfahren vor einem englischen Schnellrichter. Da hab ich mich lieber
hierherschicken lassen. Ducke mich ein bisschen weg, bis die Luft rein ist,
verstehen Sie? Noch ein paar Tage, bis sich bei den Tommies niemand mehr an
mich erinnert. Dann steige ich wieder ins Geschäft ein. Sie haben Glück, dass
Sie mich hier noch treffen, Herr Oberinspektor.«
»Wie heißen die Wolfskinder, mit denen sich Adolf Winkelmann
herumtrieb?«
Arne lacht. »Die kennen doch selbst nicht einmal ihre Namen!«
»Wo leben sie?«
»Irgendwo in den Trümmern. Wie gesagt: Ich habe lieber nichts mit
denen zu schaffen.«
»Wann hast du Adolf Winkelmann das letzte Mal gesehen?«
»Ich bin seit sechs Tagen hier. Davor habe ich ihn am Bahndamm
gesehen, aber nicht an dem Tag, als sie mich hochgenommen haben. Also
vielleicht vor zehn, elf Tagen das letzte Mal.«
»Ist dir irgendetwas aufgefallen? War irgendetwas anders als sonst?«
Arne denkt nach, schüttelt dann den Kopf.
»Du kannst gehen.«
»Und meine Zigarette?«
Stave schiebt ihm die John Players hinüber und sieht zu, wie der
Junge vom Stuhl aufsteht. Geschwollene Ellenbogen- und Kniegelenke,
wahrscheinlich Wasser darin, vermutet er. Ob Arne Thodden je wieder gesund
wird? Was wird er in zehn Jahren machen? Er wird einer unserer Stammkunden
sein, sagt sich der Oberinspektor. Dann kommt ihm noch eine Idee.
»Warst du schon mal auf der Werft Blohm & Voss?«, ruft er ihm
nach, als der Junge schon im Türrahmen steht.
»Das kostet wieder eine Players.«
Stave wirft ihm einen Glimmstengel zu, ungeduldig, gespannt.
»Nein, nie in meinem Leben«, verkündet Arne und lächelt spöttisch.
»Jetzt habe ich ein gutes Geschäft gemacht und Sie haben ein schlechtes
gemacht, Herr Oberinspektor.«
Auf dem Rückweg fährt Stave langsam über die Landstraßen.
Er braucht Zeit zum Nachdenken. Außerdem will er Benzin sparen. Manchmal
lauscht er auf das Röcheln des Motors. Keine Aussetzer. Das würde ihm noch
fehlen, irgendwo südlich der Elbe mit dem Wagen, den der Chef haben will,
liegenzubleiben – und außerdem hat er heute Abend eine Verabredung mit Anna.
Kurz vor den Elbbrücken gerät er in eine Straßensperre der Briten.
Ein verschwitzter, missgelaunter Sergeant winkt ihn hinaus. Stave reicht ihm
seinen Polizeiausweis, den der Unteroffizier sorgfältig studiert. Der
Oberinspektor hat es nun eilig, doch er ist klug genug, sich nichts anmerken zu
lassen. Wäre unangenehm, wenn ihn der Sergeant aussteigen lassen und mit zwei
Soldaten das Auto durchsuchen würde. Endlich darf er weiterfahren, allein auf
der Straße, allein mit seinen Gedanken.
Wolfskinder. Der Oberinspektor hat schon von ihnen gehört, doch
selten je eines gesehen, nie eines verhört. Ob es stimmt, dass Adolf Winkelmann
ein Mädchen dort hat? Oder ob er Geschäfte mit ihnen macht? Welche? Stave kann
sich nicht vorstellen, dass Wolfskinder irgendetwas mit Boxkarten anfangen
können. Vielleicht mit anderen Waren, die er seiner Tante oder deren
»Verlobtem« stiehlt. Oder mit Kohle. Scheint so, als hätte der Tote ziemlich
weit gespannte Geschäfte getrieben. Werde wohl mal Wölfe jagen gehen, denkt
Stave. Aber was diese Waisen oder Kohlenklauer oder Boxkarten mit Blohm &
Voss zu tun haben, das will ihm nicht in den Kopf. In ihm nagt das unbestimmte
Gefühl, irgendetwas übersehen zu haben.
Schließlich schafft er es doch noch bis zur Polizeigarage und
liefert den Mercedes beim Mechaniker ab. Der klopft gegen den Tank und schnalzt
mit der Zunge. »Gut, dass ich morgen früh keinen Dienst
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