Schieber
aber das tut ja jeder.«
»Tabletten?«
»Irgendwas, das mit ›P‹ anfängt. Waren manche ganz wild hinterher.«
»Penicillin?«
»Ja, genau! Keine Ahnung, was das für ein Zeug ist. So etwas wie
Schnaps?«
»Gesünder«, erwidert Stave und denkt nach. Schade. Einen Moment
hatte er gehofft, es wäre irgendein Mittelchen, um Sportler aufzuputschen, so
wie man vor dem Krieg den Radrennfahrern der Sechstagerennen Kokain oder Heroin
gegeben hat. Würde vielleicht auch bei Boxern funktionieren. Wäre dann
interessant geworden, Walter Kümmel wieder zu befragen. Aber Penicillin? Teure
Schwarzmarktware, aber keine, die einen Boxpromoter mehr interessieren müsste
als jeden anderen Hamburger.
»Wer waren Adolfs Abnehmer? Wem hat er die Koffer übergeben?«
»Keine Ahnung. Der Page verschwand immer mit Koffern in den
Hinterzimmern und kam ohne wieder raus.«
Die Antwort kam zu rasch, denkt der Oberinspektor. »Schade«,
erwidert er, »also müssen wir doch auf die Wache gehen.«
Dreißig Sekunden später hat er die Namen von drei Schiebern – Namen,
die ihm nichts sagen. Er notiert sie. Das wird den Kollegen vom Chefamt S
interessieren, falls er diese Leute nicht längst schon kennt.
Die beiden Jungen sind inzwischen schweißgebadet – wohl nicht nur,
weil es stickig ist im Treppenhaus. Je länger das Verhör dauert, desto größer
die Wahrscheinlichkeit, dass jemand das mitbekommt. Die Polizei ist rund um den
Hansaplatz nicht gerne gesehen. Kreuzen plötzlich ein paar Schieber auf, könnte
Stave in Schwierigkeiten geraten. Also schreibt sich der Oberinspektor die
Namen der beiden Jungen auf, tut so, als wolle er sie schon fortschicken.
Erleichtertes Lächeln auf ihren Gesichtern.
»Eine Frage noch«, sagt er dann und bemüht sich um einen möglichst
gleichmütigen Tonfall. »Hat Adolf auch Touren zum Hafen gemacht?«
Der Braunhaarige schüttelt den Kopf, doch sein Freund nickt. »Das
fing vor ein paar Wochen an. Der Adolf wollte nicht immer nur ein kleiner
Kurier sein. Der hatte Ehrgeiz. Das hab ich mal irgendwo aufgeschnappt, als
jemand davon erzählte. Der Page ging zum Hafen.«
»Zu wem? Wohin genau?«
»Weiß ich wirklich nicht. Das ist nicht mein Revier.«
Stave glaubt ihm. »Weißt du, was er vom Hafen geschmuggelt hat?
Penicillin? Zigaretten?«
»Nein, der hat gar nichts geschmuggelt. Zumindest nicht in diese
Richtung. Das habe ich zumindest gehört. Der kam mit leeren Koffern vom Hafen
zurück.«
Der Kripo-Mann glaubt, sich verhört zu haben. »Er hat nichts vom
Hafen gebracht?«
»Vom Hafen nichts. Zum Hafen ja.«
»Zum Hafen? Du meinst, er hat Ware vom Hansaplatz in den Hafen
gebracht? Ware, die von dort aus weitergeschickt wurde?«
»Was die im Hafen mit der Ware gemacht haben, weiß ich nicht. Ich
weiß überhaupt nicht, was irgendjemand daran interessieren könnte.«
»Hast du denn gehört, was Adolf zum Hafen gebracht hat?«
»Tonbänder. Der Adolf hat Tonbänder verschanzt. Er war so stolz
darauf, dass er es einmal herumerzählt hat. Hat eine ganze Stange Lucky Strike
dafür bekommen, sagte er. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hab.«
Stave schlendert über den Hansaplatz. Die beiden Jungen
hat er mit einem freundlichen Nicken entlassen. Sie werden hinter seinem Rücken
davonschleichen und die Händler warnen, die sie als Schmiere eingestellt haben,
aber dem Oberinspektor ist das gleichgültig. Er sieht sich um. Ein
gutgekleideter Herr spricht mit einem älteren, hageren Mann. Stave hält sich
einige Schritte entfernt, blickt aus den Augenwinkeln hinüber. Der Alte öffnet
den langen Mantel, den er trotz der Hitze angelassen hat. Da treten von hinten
drei kräftige Burschen heran, rempeln ihn um, packen mit routinierten
Bewegungen unter den Mantel. Ein erstickter Schrei, Hohngelächter, der
Gutgekleidete wirft dem Alten ein Bündel Reichsmarkscheine zu.
Ein Schieber, der Haare lassen muss, denkt Stave. Der Trick ist so
alt wie der Schwarzmarkt, ein Wunder, dass er immer noch funktioniert: Der
Gutgekleidete ist ein Spritzer und sucht sich einen unerfahrenen, gierigen oder
verzweifelten Schieber aus und gibt sich interessiert an einem großen Geschäft.
Zeigt der Schieber seine Ware, kommen die kräftigen Helfer und rauben ihn
blitzschnell aus. Zum Hohn lässt der Spritzer ein paar Reichsmarklappen da –
beschweren kann sich sein Opfer nicht, ist ja alles illegal.
Stave interessiert das kaum noch. Bei der Rempelei hat er einen raschen
Blick auf die Beute werfen können:
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