Schieber
herstellen?«
Karl lacht. »Wir sind in Deutschland, Vater! Da geht so etwas nicht.
Das Finanzamt war schon hier.«
»Das Finanzamt?«
»Du kannst das Land in Trümmer legen und die Wehrmacht
zerschmettern, aber das deutsche Finanzamt gibt niemals auf. Ein Inspektor war
heute hier, du wärst ihm fast über den Weg gelaufen. Hättest ihn verhaften
sollen, Vorwand egal. Ab in den Keller und Sonderbehandlung!«
Stave geht darauf nicht ein. »Was hat ein Inspektor vom Finanzamt
hier zu suchen?«
»Die kämmen jeden verdammten Kleingarten dieser Stadt durch. Du
darfst nicht einfach deinen Schreberstolz selbst drehen, dann entginge der
Bande ja die Tabaksteuer. Wir müssen alles abgeben und bekommen zwei Reichsmark
pro Kilogramm Tabakblätter, dazu auf Bezugsschein die Hälfte dessen, was wir
abgegeben haben. Kein schlechtes Geschäft für die Herren vom Finanzamt, wenn du
mich fragst. Kassieren fast die Hälfte ein und müssen dafür nicht einmal auf
Knien zwischen den verdammten empfindlichen Pflanzen herumrutschen.«
»Warum baust du dann nichts anderes an? Kartoffeln zum Beispiel?«
»Keine Sorge, für mich fällt immer noch genug ab.«
»Tabak kann man nicht essen.«
»Diese grünen Blätter sind Geldscheine, die aus der Erde wachsen.
Außerdem ist es gar nicht so einfach, hier irgendetwas anzubauen.« Karl
verschwindet hinter dem Verschlag, kehrt mit einem alten Spaten wieder. »Hier«,
ruft er, »steck den mal in die Erde!«
Stave sucht sich verwundert ein winziges freies Stückchen neben den
Tabakpflanzen und rammt das Eisenblatt in den Boden. Ganz einfach zunächst,
weil der Boden mürbe ist vor Trockenheit. Doch als er die Klinge schon fast
ganz hereingedrückt hat, stößt sie auf etwas Hartes.
»Beton?«, sagt er erstaunt und fragt sich, ob unter der
unauffälligen Kleingartenkolonie vielleicht ein Bunker aus der Nazizeit
versteckt ist.
Sein Sohn schüttelt den Kopf. »Eis. Der Boden ist vom letzten Winter
noch so kalt, dass er ab etwa vierzig Zentimeter Tiefe gefroren ist, trotz der
Hitze der letzten Wochen. Erinnert mich an Workuta. Ich muss vorsichtig sein.
Pflanze ich etwas ein, das zu tiefe Wurzeln schlägt, dann verkümmert mir das
Gewächs.«
»Du wirst zum Gartenexperten.«
Er nickt ernsthaft. »Du glaubst gar nicht, wie mir das gefällt: Die
Schufterei zwischen den Blättern. Die Hitze, sogar die Mücken, die mir abends
den Rücken zerstechen. Die Ruhe. Niemand, der herumbrüllt. Keine Schüsse. Ein
hartes, aber sauberes Bett. Nachbarn, die über den Zaun freundlich grüßen, doch
keine Fragen stellen.«
»Klingt nicht so, als hättest du Lust, heute Abend nach Hause zu
kommen, um mit mir Abend zu essen.«
»Das hier ist jetzt mein Zuhause, Vater.«
Schwarzmarktwege
Donnerstag, 12. Juni 1947
Gegen acht Uhr morgens verlässt Stave das Haus und macht
sich auf den kilometerlangen Fußweg, bis er kurz vor dem Hauptbahnhof rechts in
die Danziger Straße einbiegt, von dort in die Brennerstraße, die ihn zum Ziel
führt: dem Hansaplatz. Vor zehn, elf Uhr morgens werden die Schmuggler und
Schieber kaum in ihren Revieren aufkreuzen, der Schwarzmarkt wird erst gegen
zwölf richtig einsetzen, pünktlich zur Mittagspause in den Büros und
Geschäften. Aber der Oberinspektor hat es in seiner Wohnung nicht mehr
ausgehalten. Zu still sind die Zimmer, zu eng die Wände.
In der Brennerstraße trinkt er im Restaurant des Hotels »Würzburger
Hof« Ersatzkaffee mit dünner Milch. »Zucker ist alle«, verkündet eine
untersetzte Kellnerin, die aussieht, als hätte sie die ganze Nacht gearbeitet.
Noch sieben Tage. Nicht unter Druck setzen lassen. Unter Druck macht
man Fehler. Doch MacDonald ist sein Freund, vielleicht der einzige, den er noch
hat in dieser Stadt. Und für Erna Berg wäre es eine Katastrophe. Sie würde
ihren Geliebten und Vater ihres ungeborenen Kindes verlieren, das Sorgerecht
für ihren ersten Sohn. Die Kollegen bei der Kripo würden tuscheln. Sie wäre
moralisch erledigt. Wenn Stave in sieben Tagen noch immer so wenig weiß wie
jetzt, dann wird er MacDonald verlieren und Erna Berg dazu. Und Anna hat er
vielleicht schon verloren und seinen Sohn auch. Könnte sein, dass er ab nächste
Woche ein sehr ruhiges Leben führen wird.
Erst am späten Vormittag verlässt Stave die muffige Gaststube und
schlendert – wie er hofft: unauffällig – Richtung Hansaplatz. Er hofft, dass
die Pistole im Holster sein Jackett nicht zu deutlich ausbeult. Am Ende der
Brennerstraße, bei der
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