Schieber
des
Bauwagens. Für einen Moment erscheint das Bild, wie Anna und Staatsanwalt
Ehrlich vor den Traualtar treten, an ihrem Finger ein funkelnder Ring. Absurd.
Ob sie stattdessen einen alten Ehering auslöst, den sie hier einst verkauft
hat? Ein Ehering, das muss auch einen Ehemann bedeuten. Und wenn sie das
Schmuckstück für ein Vermögen wieder kauft, was bedeutet das dann?
Ich stehe hier wie ein Vierzehnjähriger, der sieht, wie seine
Angebetete aus der Nebenklasse mit einem anderen Jungen ins Kino geht, sagt er
sich. Doch es gelingt ihm nicht, über sich selbst zu lachen.
Er blickt nicht mehr hinüber zum Juwelierladen. Ob Anna ihr Geld
tatsächlich für den Ring ausgibt, weiß er nicht. Er eilt fort, gerade so rasch,
dass er unter den Flaneuren auf den Colonnaden und am Jungfernstieg nicht
auffällt. Es wäre ihm zu unangenehm, würde ihn Anna jetzt sehen.
Den Rest des Tages sucht Stave nach Tonbändern. Er
patrouilliert zwischen Steindamm und Deichtorplatz, geht sogar bis auf die
stählernen Kästen der Elbbrücken. Ruinen zu beiden Straßenseiten, zwischen den
Trümmern die geschwungenen, hellen Linien der Trampelpfade. Hitzeflirrende
Luft. Der Oberinspektor hält neugierig vor einer zwei Geschosse hohen
Ziegelmauer, an die jemand einen Verschlag aus Holz gebaut hat. Eine junge
Frau, die einen Blecheimer in ein Fleet getaucht hat, wankt mit der schweren
Ladung bis zu ihrer Behausung. Schließlich schöpft sie mit einer Kelle das
Wasser aus dem Eimer über das Behelfshaus.
»Wenn ich das nicht kühle, zerläuft mir der Teer auf dem Dach«, sagt
sie und blickt ihn herausfordernd an.
Stave fühlt sich ertappt und geht rasch weiter. Er schleicht auf den
Pfaden zwischen den Resten zerbombter Häuser herum, der Schutt unter seinen
Füßen von unzähligen Sohlen zu einer unebenen, betonharten Masse festgestampft.
Adolf Winkelmann könnte jeden dieser Pfade genommen haben, wenn er auf den
großen Straßen nicht gesehen werden wollte. Alle würden ihn in die Nähe des
Hafens führen.
Der Oberinspektor blickt sich um. In den Ruinen klaffen die dunklen
Öffnungen kleiner Höhlen: aufgerissene Abflussrohre, Kamine, halb verschüttete
Kellerzugänge. Dazu Hohlräume, die beim Einsturz der Gebäude entstanden sind,
wenn Betonstücke und Balken schräg zu Boden krachten. Manche Räume sind so groß
wie Kleiderschränke, andere so winzig, dass kaum eine Männerhand hineinpasst.
Etliche sind von Gräsern und Büschen überwuchert. Ideale Verstecke.
Zwischenlager für Schmuggelwaren: einigermaßen regensicher, leicht zu erreichen
und doch für den Uneingeweihten nahezu unsichtbar. Stave fragt sich, ob
Tonbänder so unempfindlich sind, dass man sie hier eine Zeit lang aufbewahren
könnte. Auf gut Glück tastet er in einigen Hohlräumen herum, doch außer einer
an einem dornigen Zweig aufgerissenen Hand bringt ihm das nichts ein. Allein
für die paar Ruinen vor den Elbbrücken bräuchte er eine Hundertschaft, um sie
gründlich durchsuchen zu lassen.
Er wandert noch einmal bis zur Behelfshütte zurück, wo sich die Frau
neben dem leeren Eimer im Schatten der Ruinenmauer ausruht.
»Kriminalpolizei«, sagt er und zückt seinen Ausweis.
»Besser als Baupolizei«, erwidert sie und lacht.
Wie jung sie ist, fährt es dem Oberinspektor durch den Kopf. »Wohnen
Sie hier schon lange?«
»Seit es nicht mehr so kalt ist. Vorher lebte ich im Hochbunker. Und
davor in Breslau.«
Stave nickt, als wären das die selbstverständlichsten Auskünfte der
Welt. Er zieht ein Foto von Adolf Winkelmann hervor. »Haben Sie diesen Jungen
hier in den Ruinen schon einmal gesehen?«
»Nein.« Sie schließt erschöpft die Augen.
»Sind Sie sicher?« Der Kripo-Mann hält ihr das Bild direkt vors
Gesicht.
Sie schüttelt bloß den Kopf.
»Vielen Dank.« Stave dreht sich um.
»Armer Kerl«, sagt sie und der Oberinspektor weiß nicht recht, ob
sie damit den Toten meint oder ob er das auf sich beziehen soll.
Adolf Winkelmann könnte die Ruinen ganz vermieden haben und über die
Mönkebergstraße gegangen sein, um anschließend einen der vielen Wege bis zu den
Landungsbrücken zu nehmen. Früher wäre ein Junge zumindest vormittags dort
aufgefallen, weil alle Kinder in der Schule sein sollten. Doch nun, da in zwei
Schichten Unterricht gegeben wird, hat die Hälfte der Kinder vormittags frei.
Adolf hätte von morgens bis abends über Hamburgs belebteste Straße flanieren
können, niemandem wäre das seltsam vorgekommen.
Stave geht im Geiste noch mal
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