Schieber
Kaffee. Aber er sucht Tonbänder. Zwei
Stunden lang wandert er über den Hansaplatz. Vielleicht liegt es daran, dass er
zu auffällig ist, vielleicht hat er einfach bloß Pech, vielleicht sucht er aber
auch die falsche Ware am falschen Ort. Kein einziges Mal jedenfalls sieht er
ein Tonband.
Der Oberinspektor weiß, dass manche Waren vom Schwarzmarkt ins
Ausland abfließen: Uhren, Schmuck, alles, was klein und wertvoll ist und sich
deshalb relativ leicht schmuggeln lässt. Da sind Riesengewinne drin: Bring ein
paar Pfund Butter aus Holland in die Besatzungszone, nimm dafür ein paar
Diamanten wieder mit. Aber Tonbänder? Wer im Ausland sollte Tonbänder tauschen
wollen? Die gibt es in England und Amerika billig genug, wer sollte die auf dem
Schwarzmarkt kaufen wollen?
Schließlich gibt er auf, enttäuscht und ratlos. Hildegard Hüllmann
hat ausgesagt, dass Adolf Winkelmann mit Tonbändern handelte. Die beiden Jungen
bestätigen das. Irgendetwas muss daran sein, aber was?
Stave geht die Ellmenreichstraße Richtung Hauptbahnhof. Als er an
der Ecke steht, wo sich das Garrison Theatre erhebt, springt er rasch in den
Schatten einer Hauswand: Anna.
Sie redet mit zwei Männern, einem britischen Captain und dem
Spritzer, den der Oberinspektor zwei Stunden zuvor beobachtet hat. Man könnte
denken, die drei plauderten wie gute Bekannte, die Männer rauchend, Anna mit
der Rechten gestikulierend, lächelnd. Es zieht Stave das Herz zusammen.
Irgendwann greift Anna in die Handtasche und holt dort vorsichtig etwas Weißes,
Bemaltes hervor. Porzellan. Stave widersteht dem Impuls, näherzutreten. Zwei
winzige Tassen, vermutet er, und eine kleine Figur, vielleicht die einer Frau.
Muss Meissner Porzellan oder ähnlich Wertvolles sein. Einen Augenblick lang
glaubt er, Anna würde den britischen Offizier und den Spritzer in einer Auktion
gegeneinander antreten lassen. Doch der Handel ist offenbar vorher schon
abgesprochen: Der Captain interessiert sich für die Figur, der Spritzer für die
Tassen. Der Kripo-Mann bewundert die Eleganz des Geschäfts: Weil auch ein
Engländer dabei ist, droht keinem der Beteiligten eine Verhaftung am
Straßenrand. Und Anna ist zudem sicher, dass der Spritzer sie nicht hereinlegt.
Muss ihre Idee gewesen sein.
Das Porzellan, eingewickelt in einer alten Zeitung, verschwindet in
einer Tasche des Uniformhemds und im hellen Jackett des Spritzers. Dann
wechseln mit raschen Bewegungen dicke Bündel von Reichsmarkscheinen den
Besitzer. Stave fällt auf, dass Anna das Geld des Captains unbesehen in ihre Handtasche
stopft, die Bündel des Spritzers hingegen mit flinken Fingern durchzählt. Sie
verdient in diesem Augenblick mehr als ich in einem ganzen Monat, fährt es dem
Oberinspektor durch den Kopf.
Anna verabschiedet sich von den Männern, die an der Straßenecke
zurückbleiben. Möglich, vermutet Stave, dass der Spritzer dem Captain auch noch
etwas zu verkaufen hat. Er folgt Anna unauffällig – bloß um sie zu beschützen,
weil sie nun so viel Geld mit sich herumträgt, wie er sich einredet.
Sie durchquert, ohne nach rechts und links zu blicken, den
Hauptbahnhof, eilt die Mönkebergstraße hinunter. Kein Halt bei einer
Bankfiliale. Am Rathaus vorbei bis zum Jungfernstieg. Staves Bein schmerzt,
weil er ihr kaum folgen kann. Anna wendet sich nach links, folgt der Alster. Vorbei
am weißen Prachtbau des Hotels »Vier Jahreszeiten«, so gediegen, als hätte der
Krieg in einer anderen Stadt getobt. Direkt neben dem Hotel verschwindet Anna
in einem Geschäft. Der Kripo-Mann tritt vorsichtig näher: ein Juwelier.
Stave starrt auf die hell verputzte Fassade, aus der sich
Schaufenster nach vorne wölben. Auf schwarzem Samt: Uhren, Colliers, Ohrringe.
Er ist zu weit entfernt, um die in eleganter Handschrift verfassten
Preisschilder genau erkennen zu können, doch die Summen sind auf jeden Fall
sechsstellig. Er blinzelt, um durch das spiegelnde Glas etwas im Innern
erkennen zu können. Eine junge, gut gekleidete, zierliche Frau. Anna, die sich
über eine Vitrine beugt. Sie sucht nichts, denkt Stave, sie weiß schon genau,
was sie will. Anna und die Verkäuferin gehen von den Vitrinen zu einem der
Schaufenster, weil sie im Tageslicht ein Stück betrachten wollen. Der
Oberinspektor verschwindet rasch hinter einem Bauwagen auf den Colonnaden,
späht vorsichtig zurück. Anna hält einen Ring in die Höhe, untersucht ihn im
Licht. Gold, keine Edelsteine.
Stave wendet sich ab, lehnt sich mit hämmerndem Kopf an das Holz
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