Schieber
Einmündung zum Platz, erblickt er, wen er sucht. Zwei
Halbwüchsige, die in der geöffneten Tür eines Mehrfamilienhauses stehen und
rauchen. Jungen, die Schmiere stehen. Die uninteressantesten Kriminellen des Schwarzmarktes,
kleine Fische, denen kein Schupo bei Razzien hinterherläuft, wenn sie türmen.
Die, die kein Krimsche lange befragt und die schlimmstenfalls von einem
englischen Schnellrichter zu ein paar Tagen Haft verurteilt werden.
Er ist so nahe herangekommen, dass er genau vor dem Hauseingang
steht. Würden die Jungen lossprinten, er könnte sie nun mit einem Griff packen,
zumindest einen von beiden. Die Bengel werfen ihm jedoch nur einen
gleichgültigen Blick zu. Sie halten ihn immer noch für einen normalen Bürger,
der auf dem Schwarzmarkt ein paar Dinge verticken möchte.
Eine rasche Bewegung, zwei Stöße vor die Brust, die Jungen taumeln
rückwärts, tiefer hinein ins Treppenhaus, Stave zieht die Haustür hinter sich
zu.
»Kriminalpolizei!«, zischt er. Hoffentlich zückt keiner von ihnen
ein Messer, der Oberinspektor hat noch nie auf Kinder geschossen. Sein Herz
rast, er blinzelt, um sich an das Dämmerlicht im Treppenhaus zu gewöhnen. Mit
grüner Ölfarbe gestrichene Wände, die nächstgelegene Wohnung vier Treppenstufen
höher an der Rückseite. Eine verschlossene Tür, die vermutlich in den
Kohlenkeller hinabführt.
Die Jungen sind zehn, zwölf Jahre alt: kurze Lederhosen, offene,
geflickte Hemden, der eine hat pechschwarze, krause Haare und viel zu große
Herrensandalen an den schmutzigen Füßen, der andere ist braunhaarig, auffallend
mager und barfuß. Er schielt zur Treppe.
»Vergiss es«, sagt Stave, »ich bin schneller als du.« Ein Bluff. Er
betet, dass den beiden sein Hinken nicht aufgefallen ist.
»Wir haben nichts getan«, erwidert der Braunhaarige. Seine Stimme
zittert, er sieht aus, als würde er gleich weinen.
»Erzähl mir keine Märchen«, fährt ihn Stave an. Er verachtet sich
dafür, diesen Kindern Angst einzujagen, doch wenn sie ihn fürchten, werden sie
vielleicht reden.
»Sind wir verhaftet?«, fragt der Schwarzhaarige. »Meine Eltern
glauben, ich bin in der Schule.«
»Was deine Eltern glauben, interessiert mich nicht. Wenn du
vernünftig bist, dann erfahren sie nichts von diesem Gespräch. Bist du nicht
vernünftig, dann dürfen sie dich auf der Wache abholen.«
»Was wollen Sie wissen?«
»Das ist die richtige Einstellung.« Stave atmet durch. Er holt ein
Foto von Adolf Winkelmann heraus. »Habt ihr den schon mal gesehen?«
Die Jungen wechseln einen raschen Blick, dann zuckt der Schwarzhaarige
die Achseln. »Wenn Sie den suchen, dann kommen Sie zu spät. Der ist hin.«
»Das sieht man doch auf dem Foto, dass der tot ist«, korrigiert ihn
sein Freund.
»Ihr wisst, wer er ist?«
»Der Adolf. Dem war sein Vorname immer peinlich.«
»Nachname?«
Kopfschütteln. »Der war kein Freund von uns. Dann fragt man auch
nicht.«
»Aber ihr wisst, was er getan hat?«
»Das ist doch eine Falle«, platzt der Braunhaarige heraus. »Wenn wir
jetzt singen, dann nehmen Sie uns mit.«
»Im Gegenteil, wenn ihr nicht singt, dann nehme ich euch mit.«
»Ist doch egal«, seufzt der Schwarzhaarige. »Wir stehen hier jeden
Tag Schmiere. Deshalb kennen wir alle, die häufig am Hansaplatz aufkreuzen.«
Stave nickt verständnisvoll.
»Ja, also, der Adolf, das war ein Kurier. Der hat Sachen vom Bahnhof
abgeholt und zu den Schiebern gebracht. Ablieferung im ›Würzburger Hof‹ oder in
der Gaststätte ›Lenz‹, immer im Hinterzimmer.«
»Wie hat er seine Ware transportiert?«
»In Koffern. Manchmal, wenn es wenig war, auch unter seiner Jacke.
Einmal hat er irgendwelche Sachen in einer Schuhcremekiste getragen. Aber
meistens in Koffern. Wir haben ihn den ›Pagen‹ genannt, weil er immer so aussah
wie die Jungen, die den Reichen im Hotel die Sachen hinterhertragen.«
»Natürlich nur, wenn er nicht dabei war«, ergänzt der Braunhaarige.
»Weil er euch sonst verprügelt hätte?«
»Der hatte jedenfalls einen guten Schlag drauf.«
»Was war in den Koffern?«
Beide Jungen lachen. »Wenn wir zu neugierig wären, dann würden wir
hier längst nicht mehr Schmiere stehen!«
»Aber ihr habt euch doch sicherlich was gedacht? Mal was
aufgeschnappt von einem Schieber, mal was gesehen, wenn einer den Koffer
geöffnet hat.«
Ein rascher Blickwechsel, ein zögerliches Nicken. »Klar. Der Adolf
hat in Tabletten gemacht. Und selbstverständlich Glimmstengel und Butter aus
Holland,
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