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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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lesen musst, aber wenn Du es tust, dann ist das Schlimmste passiert. Sei nicht verzweifelt. Ich bin es nicht. Ich empfinde es als großes Glück, Dich gefunden zu haben und zu wissen, dass ein Teil von mir durch Clare für Dich weiterlebt. Kinder sind unsere Unsterblichkeit. Bitte gib Clare ihren Brief, wenn Du denkst, dass sie alt genug ist, um ihn zu verstehen.
    Sie weiß immerhin, wer ihre Eltern sind – was uns beiden ja nicht vergönnt war.
    Sei nicht verbittert, dass das Schicksal mich nicht am Leben ließ. Ich wusste immer, dass dieser Tag kommen könnte. »Lieber einen Tag als Tiger leben …« heißt das Sprichwort, und wir Flieger sind die Tiger der Luft. Irgendjemand muss diesem Wahnsinnigen auf der anderen Seite des Kanals Einhalt gebieten.
    Ich wünschte, ich könnte ein Gedicht schreiben, ein Sonett, um Dir zu sagen, wie sehr ich Dich liebe, aber alles, woran ich denken kann, ist, wie viel Glück ich hatte, Dich zu kennen und von Dir geliebt zu werden. Niemand kann uns diese kostbaren Tage in dem Cottage wegnehmen, unsere Ausritte von Thorpe Cross aus, bei denen wir uns hoch auf den Bergen geliebt haben, unsere wunderschönen Spaziergänge über den Treidelpfad, und Deinen Anblick, als Du in der Kirche auf mich zukamst. Wenn die Zeit gekommen ist, fühl Dich frei, mich loszulassen und einen anderen zu finden, der Dich liebt. Ich möchte nicht, dass Du einsam bist.
    Kopf hoch. Sei britisch.
    Leb wohl, meine Liebe.

115
    In den folgenden Wochen marschierten Roddy und Pater Frank jeden Morgen und jeden Abend mit strammen Schritten am äußeren Zaun entlang, ein Ritual, das oftmals schweigend vollzogen wurde, eine Möglichkeit, ihre bittere Enttäuschung und Unzufriedenheit loszuwerden. Aus ihrer ersten zaghaften Annäherung war eine Freundschaft entstanden.
    »Wenn du fliehen willst, musst du fit sein. Lauf herum und arbeite, bau deine Muskeln auf«, flüsterte Frank eines Tages. »Du musst es mit anderen Offizieren besprechen, falls jemand mit dir fliehen will.«
    »Ich will es lieber allein machen.«
    »Dann vergiss es. Du würdest keine zwei Minuten überstehen.«
    »Dann komm du mit«, sagte Roddy herausfordernd.
    »Nein, ich bleibe hier, auch wenn ich versucht bin, mich für ein paar Stunden abzusetzen und die Bartolinis ausfindig zu machen.«
    Roddy gefiel Franks Aufrichtigkeit, seine Art, wie ein normaler Soldat zu schimpfen und zu fluchen. Einen Priester wie ihn hatte Roddy noch nie getroffen. Er kämpfte für bessere Essensrationen, die Verteilung von Paketen vom Roten Kreuz und bessere medizinische Versorgung. Er hatte herausgefunden, dass der Kommandant des Lagers ein gläubiger Katholik war und einem örtlichen Priester erlaubte, geweihte Oblaten zu bringen und ihm die Beichte abzunehmen.
    Die Post kam sehr unregelmäßig, und eines Morgens sah Roddy, dass Frank bedrückt am Zaun entlangwanderte. Auf seine Anfrage hin hielt er ihm einen Brief seiner Mutter entgegen. Das Schiff seines Bruders war torpediert worden und sein Bruder im Pazifik gefallen.
    »Jack war der Ungezogene von uns. Ich war der Gute. Aber mein Vater liebte seinen ungezogenen Jungen. Es wird ihn schwer treffen, dass er jetzt zwei seiner Kinder verloren hat.«
    Nur wenige Wochen später kam die Nachricht von Ellas Mann, Monate, nachdem er gefallen war. Inzwischen konnte Roddy ihren ausgetretenen Pfad schon locker entlanglaufen. Er blieb stehen. »Warum tun wir das alles, all dieses Töten?«, fragte er Frank, der schnaufend versuchte, ihn einzuholen.
    »Weil wir wilde Tiere sind, die ihr Revier verteidigen wollen, schätze ich. Wir haben es im Blut zu jagen, Beute zu reißen und zu kämpfen. Wir vergessen, dass wir unter unserer Haut alle gleich sind, fehlbare Menschen.«
    »Sind wir das? Ich bin mir nicht sicher«, entgegnete Roddy. »Ich habe schreckliche Dinge von unseren Männern gesehen und anständige vom Feind. Oh, wie komme ich nur hier raus, ich explodiere noch!« Er spürte, wie Frustration und Enttäuschung in ihm brodelten.
    »Hast du mit deinen Kameraden vom Fluchtkomitee gesprochen?«
    »Ach, die wollen einen organisierten Ausbruch. Sie sagen, es sei einfacher gewesen, als die Italiener das Lager leiteten. Die jetzigen Wachen der Feldgendarmerie seien sehr viel strenger.«
    »Ich habe gehört, dass es immer noch einen geheimen Durchgang unter dem äußeren Zaun gibt und dass die Feldarbeiter nicht die ganze Zeit bewacht werden. Im Ort wohnt ein Priester. Er sagt, wenn wir die richtige Stelle finden, kann man

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