Schiff der tausend Träume
zerrten ihn ins Gebüsch, zogen ihm eine Soutane über den schwitzenden Körper und ein Birett über das sonnengebleichte Haar. Er wurde in einen alten Lastwagen verfrachtet und unsanft unter einer Ladung Säcken versteckt. Pater Frank saß bereits auf dem Rücksitz, völlig verschwitzt. Sie fuhren meilenweit über schmale, gewundene Straßen und kamen dann an eine Straßensperre.
Wie es schien, war Pater Mario mit seinen runden Brillengläsern hier gut bekannt, denn er grüßte die örtlichen Milizbeamten freundlich, während sie ihn durchwinkten.
»Die Bartolinis werden dich nur ein paar Tage verstecken können. Sie haben hier alle Angst vor Vergeltungsschlägen. In jedem Dorf gibt es Sympathisanten der Faschisten, die sofort alles verraten. Du musst in den Süden vordringen, so weit du kannst, zu den Alliierten, und natürlich nur nachts. Die Soutane kann dir helfen – oder auch nicht. In dieser Gegend ist das sehr gemischt.«
Der Wagen hielt stotternd vor einem kleinen Bauernhaus mit goldgelben Wirtschaftsgebäuden und einem roten Ziegeldach. Es lag an den Hang geschmiegt, und man hatte einen guten Ausblick auf die kleine Straße. Durch das Motorengeräusch alarmiert, kamen ein alter Mann und eine Frau zum Hauseingang und beobachteten blinzelnd, wie Frank und der Priester ausstiegen und dann Roddy unter den Säcken hervorzogen.
»Das sind Pater Francesco Bartolini und sein Kamerad, der Captain.«
Ihre wettergegerbten Gesichter blieben fast unbewegt, als sie dem Priester die Hand gaben und etwas auf Italienisch brabbelten. Sie beäugten die Männer mit höflicher Zurückhaltung und deuteten auf die Tür.
Nach der Helligkeit draußen konnte Roddy im dunklen Zimmer zunächst kaum etwas erkennen. Es gab eine Feuerstelle, einen blank polierten Tisch und einige verblasste Familienporträts an den roh verputzten Wänden. Das Erste, was ihm jedoch auffiel, war Spitze. Überall war Spitze: auf dem Kaminsims, den Sessellehnen, am Rand des Tischtuchs, an den Gardinen. Alles sah sauber und ordentlich aus, obwohl der Raum schlicht und voller Rauch war. Die Italiener servierten ihnen eine gehaltvolle Suppe aus Nudeln und Gemüse, einige Scheiben Hartkäse mit köstlich reifen Pfirsichen, die ihnen im Mund zergingen.
Frank versuchte angestrengt, ihren Dialekt zu verstehen, nickte, gestikulierte und deutete auf die Fotografien. Roddy bemerkte eine sehr alte Dame, die in der Ecke saß und weinte, während sie der Geschichte lauschte, immer wieder den Kopf schüttelte und sich bekreuzigte. Als Frank seinen Talisman unter der Soutane hervorzog, brach sie fast zusammen.
»Merletto d’Anghiari! Salvatore, ma guarda te!«
Sie wurde ganz aufgeregt.
»Il bambino d’Angelo, Francesco!«
Frank schüttelte den Kopf und versuchte Roddy zu erklären, warum sie so erregt war. »Sie sagt, mein Vater hat ihr diesen Schuh vor vielen Jahren schon einmal gezeigt. Jetzt weiß sie, dass ich tatsächlich sein Sohn bin. Sie dachten, wir sind vielleicht Spione. Die Spitze trägt das Muster der Marcelli, hier aus der Gegend. Sie sagt, es sei ein Wunder. Sieh mal dort, sie hat auch einen Stuhl und ein Kissen zum Spitzenklöppeln! In New York habe ich so was schon mal gesehen. Das sind also meine Großmutter und mein Cousin und seine Frau. Sie wollen ihre Namen nicht verraten – vorsichtshalber. Ich glaube, ich träume. Wenn ich das meiner Familie in New York erzähle!« Er lachte und trank einen Schluck Landwein, der so süß wie Likör war.
Viel zu früh senkte sich die Sonne über die Hügel, und Pater Mario drängte zum Aufbruch. »Bruder Francesco, Sie müssen wieder ins Lager. Sie dürfen den Appell nicht verpassen.« Aber Frank konnte sich nur schwer von seiner Familie trennen; es gab noch so viele Fragen und so viel zu erzählen.
Roddy war gerührt, dass er eine solche Familienbegegnung miterleben durfte. Sie würden ihn über Nacht auf dem Dachboden verstecken, und alles, was er ihnen dafür geben konnte, waren Zigaretten, ein paar Dosen vom Roten Kreuz und jede Menge holpriger
grazie
.
Er schüttelte Frank die Hand. »Falls ich es zu unseren Truppen und nach Hause schaffe, werde ich deine Familie wissen lassen, dass es dir gutgeht und du die Familie deines Vaters getroffen hast, das verspreche ich.«
Frank ging zur Tür, und seine Verwandte hielt ihm den Schuh hin, doch er wollte ihn nicht annehmen. »Er gehört hierher. Er verbindet uns und bleibt ein Beweis, dass ich hier war«, sagte er und schob ihn ihr wieder in die Hand.
Weitere Kostenlose Bücher