Schiff der tausend Träume
»Mein Vater wünscht es so.«
Etwas in dieser Geste war so anrührend, dass Roddy – auch wenn er kaum ein Wort verstanden hatte – selbst etwas Eigenartiges tat. Er kniete sich mit einem Bein auf den Boden. »Segne mich, Pater. Dort, wo ich hingehe, kann ich es bestimmt gebrauchen«, flüsterte er. »Wenn das alles vorbei ist, werden wir diese Geschichte bestimmt immer wieder erzählen müssen. – Wie kann ich Ihnen nur für alles danken, was Sie riskieren, meine Freunde?«, fügte er hinzu. »Bitte übersetz das, Frank.«
Frank übersetzte und flüsterte ihm dann ins Ohr: »Mach morgen bloß, dass du hier wegkommst, und renn nach Hause!«
Irgendwo kurz vor Arezzo hatte der Lastwagen eine Reifenpanne. Es wurde spät, und Frank wusste, dass er nicht mehr rechtzeitig im Lager ankommen würde. Jetzt waren sie in Schwierigkeiten. Der Lagerkommandant war ein anständiger Mensch, aber er würde diesen Betrug nicht durchgehen lassen und inzwischen wohl auch entdeckt haben, dass ein weiterer Mann fehlte. Frank seufzte, weil er wusste, dass er einen schweren Weg vor sich hatte.
»Bleiben Sie beim Lastwagen und dem Fahrer«, sagte er zu Pater Mario. »Sie können sagen, dass Sie irgendwo eine Letzte Ölung geben mussten, das wird niemand nachprüfen. Ich werde zu Fuß zum Lager zurückgehen und eine Abkürzung über die Felder nehmen. Es kann nicht weiter sein als ein oder zwei Meilen. Vielen Dank, dass Sie mir diese Chance verschafft haben, heimlich meine Familie zu sehen. Wir werden das nicht wieder riskieren. Sie haben genug getan. Ich werde Ihre Freundlichkeit nie vergessen.«
Pater Mario hielt ihn fest. »Bleiben Sie hier, auch Sie können fliehen«, bat der alte Mann. »Der
capitano
wird ohne Ihre Hilfe keine drei Tage überleben. Sie sind einer von uns, und Sie sehen aus wie einer von uns. Sie können als Einheimischer durchgehen, der aus Amerika zurückgekehrt ist. Ihr Akzent wird Sie zwar verraten, aber wir können eine gute Geschichte für Sie basteln. Bleiben Sie, Bruder Francesco!«
»Nein, ich habe mein Wort gegeben. Da sind kranke Männer, die mich brauchen, und auch der Arzt braucht meine Hilfe.« Er gab Pater Mario fest die Hand. »Ich werde von meinem verbotenen Ausflug zurückkehren – der einzige Kriegsgefangene, der darum bittet, wieder in sein Gefängnis zu dürfen! Das wird sie amüsieren, und ich werde alle mit meiner Geschichte der heimlichen Pilgerreise langweilen. Vielleicht kommen meine neu gewonnenen Ortskenntnisse ja jemandem zugute.«
Er verriet nicht, dass er unter der Soutane einen Kompass in einem seiner Uniformknöpfe versteckt hatte. Er riss diesen Knopf ab und orientierte sich.
Wie anders ein Wald in der Dämmerung aussah! Mücken schwirrten ihm ums Gesicht, Frösche quakten, und Nebel zog auf. Man konnte sich leicht verlaufen, aber mit Hilfe seines Feuerzeugs überprüfte er immer wieder die Richtung auf dem Kompass. Dennoch war ihm nicht wohl. Es war gefährlich gewesen, sich für einen Tag heimlich abzusetzen. Nun musste er für das Risiko bezahlen.
Er hatte den Glauben des Kommandanten ausgenutzt, als er darum gebeten hatte, den Kontakt mit Pater Mario zu erlauben. Hatte er mit seiner Eskapade auch dessen Leben aufs Spiel gesetzt? Er blieb stehen, spürte die Weite des offenen Geländes und atmete den Duft der Pinien ein. Wer wollte in solch einem Paradies nicht länger bleiben?
Als es dunkler wurde, konnte er den Pfad zum Lagereingang kaum noch erkennen, aber ein anderer Weg führte zu den Feldern, wo er und Roddy sich heute Morgen getroffen hatten. Er war noch nicht weit gegangen, als er herannahendes Hundegebell hörte und Taschenlampen aufblitzen sah. Jäger, die nach Rehen oder Wildschweinen Ausschau hielten? Doch nur einen Moment später erkannte er, dass er selbst die Beute war und es sich nicht um Jäger handelte, sondern um die Feldgendarmerie, die nach geflohenen Kriegsgefangenen suchte.
Er blieb stehen, um die Soutane wieder überzuziehen und so seine Uniform zu verstecken. Schon stand er im Licht einer Taschenlampe. »Halt!«
Frank nahm die Hände hoch und versuchte zu erklären. »Ich bin Pater Francesco Bartolini. Ich habe mich verlaufen.
Sono padre americano
.« Er deutete auf das Kreuz und seine Insignien als Militärgeistlicher.
Eine Stimme sprach in gebrochenem Englisch: »Du bist entflohener Gefangener. Er wurde als Priester verkleidet gesehen. Du bist der Gefangene.«
»Nein, das bin ich nicht. Ich bin Pater Bartolini. Ich wollte gerade ins Lager
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