Schiff der tausend Träume
Einzige, die solchen Schmerz empfand, wie ein verängstigtes kleines Kind, das wegen seines Verlustes mit dem Fuß aufstampfte und nicht wusste, was es als Nächstes tun sollte.
»Miss, Miss?«, durchbrach eine Stimme ihre Gedanken. »Ist das gut so?«
Es war Jimmy Brogan, einer der jungen Männer aus Birmingham mit irischem Stipendium, klein und dünn, mit verhärmtem Gesicht. Sie hatte vergessen, seine Arbeit zu begutachten. Er hatte ein keltisches Kreuz in Stein gemeißelt, und für einen Anfänger arbeitete er sehr sauber und sicher. Tatsächlich war es eine exzellente Arbeit.
»Das ist gut. Deine Ausführung gefällt mir sehr.« Ella lächelte. Immerhin hatte jemand ihre Ratschläge befolgt.
»Denken Sie, ich kann es mit nach Hause nehmen?«
»Ich weiß nicht«, meinte sie. »Ist das nicht ein Teil deiner Arbeit für die Aufnahme in die Kunsthochschule?«
»Nein, das nicht, Miss. Das ist für Peg – ein Grabstein«, erwiderte er, ohne sie anzusehen.
»Ist Peg dein Hund?«, fragte sie überrascht.
»O nein, Miss, Peg ist meine Schwester. Sie wurde während der Verdunkelung von einem Bus überfahren. Sie wollte einen Krug vom Milchwagen holen.« Er blickte zu Boden, um seine Tränen zu verbergen. »Ich würde den Stein gern meiner Mutter schenken.«
»Dann nimm ihn mit. Ich kümmere mich um die Kosten für das Material. Wie geht es deiner Mutter?«, erkundigte sie sich weiter – als müsste sie das nach einer solchen Tragödie noch extra erfragen!
»Schlecht, denn wir sind ausgebombt worden, Miss. Wir wohnen jetzt dichtgedrängt bei ihrer Schwester, und sie vertragen sich nicht, und mein Dad ist mit der achten Armee in Italien.«
Ella bewunderte sein Werk erneut. »Weißt du, dass es noch andere Stipendien gibt für Jungen wie dich, um weiterzukommen?«, fragte sie in dem Wissen, dass sie einen talentierten Schüler verlieren könnte.
»Ach, nicht für einen wie mich. Ich arbeite mit meinem Onkel Pat in einer Gießerei und kann nur in eine Abendschule gehen«, meinte er kopfschüttelnd. »Aber ich bin froh, dass es Ihnen gefällt, Miss.«
»Es kommt von Herzen, Jimmy. Gute Arbeit fängt immer hier an.« Sie tippte sich auf die Brust und spürte, wie sie traurig wurde. »Denk dran, nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Herzen. Halte dich immer daran, dann wirst du nichts falsch machen. Viel Glück.«
Wie konnte sie sich nur beklagen, wenn dieser Junge kein Zuhause hatte, keinen Vater und eine tote Schwester? Sein Talent würde nicht ausgebildet werden können. Sie hingegen hatte ein Dach über dem Kopf, eine wundervolle Tochter und fürsorgliche Freunde. Sie hatte Arbeit und ein bisschen Talent. Irgendwie musste sie Jimmy helfen, sein Potential zu verwirklichen. Wie wäre es mit einer Lehrstelle bei Bridgeman & Sons, den Steinmetzen in Lichfield? Vielleicht könnte das funktionieren.
In diesem Moment spürte sie jemanden hinter sich und fuhr herum. Sie hörte eine vertraute Stimme: »Gut gemacht, ich wusste, du würdest vernünftig sein, Liebling. Mach nur weiter so, verschwende deine Gabe nicht.« Klar und deutlich hörte sie Anthonys Stimme. »Ich werde dich nie verlassen.«
Der Schmerz des Wiedererkennens war fast zu groß, als dass sie ihn ertragen konnte. Sie stand mitten im Atelier und betrachtete die gebeugten Köpfe dieser jungen Menschen, die noch so viel Hoffnung vor sich hatten. Dann ertönte gnädigerweise die Glocke, und sie ließ sie das Werkzeug beiseitelegen und geleitete sie in verhaltener Eile zur Tür. Erst dann setzte sie sich an ihr Pult und brach schluchzend zusammen, das Gesicht in die Hände vergraben. Wie ein gleißendes Licht breitete sich die Erkenntnis in ihr aus: Anthony würde nie mehr zu ihr zurückkehren, und dennoch war etwas von ihm in ihrem Innern, wenn sie nur darauf hörte.
Als sie mit dem Bus nach Hause fuhr, dachte sie an Jimmys keltisches Kreuz und mit welchem Stolz und welcher Liebe er es angefertigt hatte. Sie sah aus dem Fenster und fühlte sich seltsam beschwingt. Und wieder hörte sie seine Stimme. »Du kannst etwas für diesen Jungen tun.« Anthony wusste von ihrem Schmerz und war gekommen, um sie zu trösten. Solange sie lebte, konnte sie diesen Teil von ihm in sich selbst spüren.
Nach dem Abendessen hastete Ella nach oben, um die Kiste mit Anthonys persönlichen Dingen und dem kostbaren Brief hervorzuholen. Sie drückte ihn an ihr Herz, bevor sie ihn öffnete. Mit Tränen in den Augen las sie:
Dies ist ein Brief, von dem ich hoffe, dass Du ihn nie
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