Schiff der tausend Träume
helfen. Die Bartolinis kommen doch, weißt du nicht mehr?«
Ella wollte so schnell wie möglich von hier weg. Pieros unerwartete Aufmerksamkeit hatte sie aus der Fassung gebracht. Es war schon so lange her, dass sie von einem Mann beachtet worden war. Normalerweise waren sie zu alt, aber Piero war in den Fünfzigern, vielleicht sogar jünger, und auf diese dunkle italienische Art attraktiv mit einem markanten Profil. Man könnte gut eine Büste von ihm anfertigen, das starke Kinn, die gebogene Nase, der lange Hals, die großen Augen … Sie lächelte, weil sie merkte, dass sein Profil ihr mehr als nur ein bisschen gefiel. Warum sollte sie nicht einmal ein Rendezvous genießen? Bestimmt war ihr die Sonne zu Kopf gestiegen und hatte ihr Hirn erweicht, aber wenn man verreiste, konnte alles Mögliche passieren, dachte sie. Jetzt aber war es Zeit, den Tisch zu decken und dafür zu sorgen, dass Roddys spezielle Gäste einen wunderbaren Abend erleben würden.
Patti, Kathleen und die Haushälterin waren bereits damit beschäftigt, die langen Tische auf der Terrasse zu decken und ausreichend Stühle und Bänke davorzustellen, damit alle Gäste Platz hätten. Die Dorfbewohner sollten kommen und alle Verwandten der Familie Bartolini. Es würde ein großes Fest werden:
zuppa di cipolle, tonno e fagioli salata, pollo alla campagna, ricciarelli, gelati
, um nur einige der Speisen zu nennen. Und jeder Gang würde von einem guten Wein begleitet werden.
»Und? Was meinst du, Schwesterherz?« Voller Stolz begutachtete Roddy die lange Tafel. »Wird das reichen?«
Ella mochte es, wenn er sie »Schwesterherz« nannte. Sie fühlte sich dann als Teil der Familie, auch wenn sie es nicht war.
»Wir müssen uns wohl in Schale werfen, du weißt ja, was meine Mutter immer sagt: Nach sechs ist Abendgarderobe angesagt. Aber in dieser Hitze dürfen wir uns hoffentlich die Krawatten sparen.«
»Du musst mir gleich erklären, wer wer ist. Spricht irgendjemand von ihnen Englisch?«, wollte Ella wissen.
»Keine Sorge, wir haben extra ein paar Übersetzer bestellt, damit sie uns helfen. Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet, hier alle versammelt zu sehen. Dass Patti und Kathleen Angelos Familie treffen können, ist etwas ganz Besonderes. Wenn Frank nicht gewesen wäre … Ich will nur, dass alle dieses Fest genießen. Du wirst dich nicht verdrücken, oder?«
»Was meinst du damit?«
»Manchmal, wenn ich dich ansehe, kommst du mir ganz weit weg vor. Ich weiß, dass du Anthony vermisst. Ich fühle mich dann schuldig, dass ich hier sein kann und er nicht.«
Ella griff nach seiner Hand. »Das ist es nicht. Ich beneide dich einfach nur, weil du eine so große Familie hast.«
»Für mich gehörst du auch zur Familie, das weißt du«, erwiderte er.
»Ja, ich weiß, aber manchmal …« Sie schüttelte den Kopf, unfähig, es zu erklären.
Roddy legte ihr behutsam eine Hand auf die Schulter. »Wir alle haben Schreckliches erlebt. Dieser Krieg … Aber bevor ich ganz und gar trübsinnig werde, denke ich immer daran, wie alles auch sein Gutes hatte. Ich habe Frank kennengelernt und durch ihn Patti. Ich habe Güte und Hilfsbereitschaft erfahren. Wie bei der
Titanic
. Es war ein entsetzliches Unglück, aber es hat meine Mutter aus ihrer elenden Ehe gerettet und May und dir ein neues Zuhause gegeben, eine neue Familie. Viele Menschen haben den Opfern geholfen. Und doch ist da immer noch so viel, was wir über diese Nacht nicht wissen.«
»Das kannst du laut sagen«, meinte Ella leise. »Aber daran wollen wir jetzt nicht denken. Das ist deine Nacht, und nach dem, was ich in der Küche gesehen habe, wird es ein wahrer Festschmaus. Ich freue mich schon.«
Ella gab sich beim Zurechtmachen besonders viel Mühe, steckte ihr Haar in einem französischen Zopf hoch und legte ihre schönsten goldenen Ohrringe an. Zum Glück hatte Clare darauf bestanden, dass sie sich ein vernünftiges Kleid kaufte – es war dunkeltürkis mit einem angesetzten Tellerrock, so dass ihre Bräune gut zur Geltung kam, und auch die Kette aus Halbedelsteinen, die sie in Arezzo ausgesucht hatten, passte wunderbar. Dann betrachtete sie sich im Spiegel der Frisierkommode und lächelte. »Da hast du dich fein rausgeputzt, meine Liebe. Nicht schlecht für dein Alter!«
Sie spürte eine innere Leichtigkeit, so wie sie es seit Jahren schon nicht mehr erlebt hatte – wie ein junges Mädchen vor seinem ersten Ball.
126
Celeste saß mit einem Glas Champagner auf der Terrasse und
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