Schiff der tausend Träume
konnten. Müde nach den vielen Stunden Flugzeit hatten sie auf dem Petersplatz gestanden und die Atmosphäre der Vatikanstadt aufgesogen, bevor sie dann nach Florenz fuhren, so dass Kathleen und die ganze Familie Frank die Ehre erweisen konnten. Jetzt wusste sie, wo ihr Sohn lag, und es würde ihr hoffentlich helfen, ihre Trauer zu bewältigen.
Roddy hatte nicht erwartet, dass er beim Anblick der riesigen Totenäcker weinen würde, aber ihm liefen tatsächlich Tränen über die Wangen. Schreckliche Erinnerungen stiegen in ihm auf, und er hatte Sorge, dass sie den Rest des Urlaubs überschatten würden.
»Warum weint Daddy?«, fragte Tina, als Patti ihn in den Arm nahm.
»Weil hier seine Freunde liegen. Sie konnten nicht mit ihm nach Hause kommen. Euer Onkel Frank liegt auch hier.«
»Haben wir den Krieg denn gewonnen?«, wollte Frankie wissen.
»Niemand gewinnt einen Krieg, mein Schatz. Das denken sie nur.«
Zwei Tage später erreichten sie ihr Ziel in der Toskana: ein altes, weitläufiges Landhaus am Rande der mittelalterlichen Stadt Anghiari. Sie lag hoch oben auf einem bewaldeten Hügel mit herrlichem Ausblick über die Ebene. Der Duft von Zypressen, Pinien und Kräutern durchzog die Luft und erinnerte Roddy wiederum an die Zeit seiner Flucht. Er dachte an die angstvollen Stunden, die er tagsüber in seinen Verstecken im Wald verbracht hatte, und an die Nächte bei Vieh- und Öllampengeruch im Stall.
Er konnte es kaum erwarten, all die umliegenden
contadini
zu besuchen, die ihn beherbergt hatten. Über die Jahre hatte er dafür gesorgt, dass Pattis italienische Verwandten nützliche Geschenke bekamen, Reifen für ihre Lastwagen oder Kleidung.
Seine Gedanken schweiften zu Ella. Eigentlich war sie ihm ganz fremd geworden. Sie sprach bescheiden über ihren Erfolg und Ruf als Bildhauerin. In ihren seltenen Briefen erzählte sie nur von Clare, nie von sich selbst. Sie war fast wie eine Schwester für ihn, und er hoffte, dass sie hier Zeit fänden, sich wieder neu kennenzulernen. Er hoffte, dass sie Patti und Kathleen mochte und sie alle als eine große Familie empfand.
Immer war sie eine Einzelgängerin gewesen, eine Außenseiterin, die durch die Güte seines Großvaters und seiner Mutter in ihre Mitte gebracht worden war. Sie hatte niemanden außer Clare, keine eigene Familie, nur seine. Er hoffte, dass ihr die Vorstellung eines gemeinsamen Urlaubs gefiele. Er verstand nicht viel von Künstlern, aber aus dieser Gegend stammten so viele, und nur ein paar Meilen entfernt lag der Geburtsort des berühmten Michelangelo. Er wollte, dass alle sich hier so wohl und zu Hause fühlten wie er.
Staunend sah Celeste zur Villa Collina hinauf. Sie war prächtig, wie auf einer Postkarte, mit goldfarbenen Steinmauern, grünen Fensterläden und Dachziegeln aus Terrakotta. Groß und majestätisch stand sie zwischen Olivenhainen und Wäldern mit einer gewundenen Auffahrt bis zum zinnenbewehrten Haus. Typisch Roddy, dass er den schönsten Platz ausfindig gemacht hatte! Sie hatten an der Piazza Baldacci in Anghiari zu Mittag gegessen und die hohen Mauern und mittelalterlichen Gebäude bewundert. Es war alles so herrlich italienisch und auf jeden Fall die lange Reise wert. Sie kam sich vor wie im Märchen. Jeden Moment rechnete sie damit, dass Männer in Wams und Kniehose hervorsprangen und sich duellierten oder dass sie Julia auf einem Balkon entdeckte, die auf ihren Romeo wartete.
Nachdem sie später ihre Sachen in einem wunderbaren Schlafzimmer verstaut hatte, setzte Celeste sich zu den anderen in den Garten, trank mit ihnen Wein und beobachtete, wie die Sonne allmählich im Westen unterging.
Sie sah zu Frankie und Tina, die auf der abschüssigen Wiese herumtollten. Frankie hatte lange Beine, dunkle Haare und eine Zahnspange und sah Roddy kein bisschen ähnlich. Tina aber, mit roten Locken wie ihre Mutter und Großmutter, würde sicher eine Schönheit werden. Frankie erinnerte sie an jemanden, aber sie kam nicht darauf, an wen. Es waren lebhafte, aber gut erzogene Kinder, die ihren Eltern alle Ehre machten. Sie würde die Zeit mit ihnen nutzen und sie verwöhnen, so viel sie sich traute.
Was für ein bunter Haufen sie doch waren! Archie saß mit irgendeinem historischen Wälzer im Schoß und genoss die Sonne. Kathleen hatte ihr Strickzeug ausgepackt, und Patti kümmerte sich darum, dass die Haushälterin und die Bediensteten die mögliche Ankunft weiterer Gäste bedachten, bevor sie das Abendessen bei Kerzenlicht auf der
Weitere Kostenlose Bücher