Schiffbruch Mit Tiger
klarer Verstand, ein aufmerksames Auge und ein wenig wissenschaftliche Erfahrung, und jede Religion ist als abergläubiges Geschwätz entlarvt. Gott gibt es nicht.«
Hat er das gesagt? Oder war das später, bei anderen Atheisten? Jedenfalls waren es Worte in dieser Art, und nie im Leben hatte ich so etwas gehört.
»Warum dem Dunkel Macht einräumen? Alles ist hier, alles ist eindeutig, wir müssen nur hinsehen.«
Er wies auf Peak. Nun bewunderte ich Peak wirklich sehr, aber ich war noch nie auf die Idee gekommen, in einem Rhinozeros den Quell der Erleuchtung zu sehen.
»Manche sagen«, fuhr er fort, »Gott sei 1947 gestorben, als unser Land geteilt wurde. Manche sagen, er starb 1971 im Krieg. Vielleicht war es auch erst gestern hier in Pondicherry in einem Waisenhaus. So etwas hört man von den Leuten, Pi. Als ich so alt war wie du, verbrachte ich meine Tage im Bett und rang mit der Kinderlähmung. Jeden Tag neu fragte ich mich: ›Wo ist Gott? Wo ist Gott? Wo ist Gott?‹ Aber Gott kam nie. Nicht Gott hat mich gerettet - es war die Medizin. Die Vernunft ist mein Prophet, und sie sagt mir, dass wir sterben, genau wie eine abgelaufene Uhr stehen bleibt. Das ist nur natürlich. Und wenn die Uhr nicht richtig läuft, dann muss sie hier und jetzt in Ordnung gebracht werden, und zwar von uns. Der Tag wird kommen, an dem wir die Produktionsmittel übernehmen, und dann herrscht Gerechtigkeit auf Erden.«
Das war alles ein wenig viel für mich. Der Ton gefiel mir - tapfer und engagiert -, aber die Einzelheiten klangen bedrückend. Ich schwieg. Nicht aus Furcht, dass ich MrKumar verärgern könnte. Eher fürchtete ich, dass er mit ein paar hingeworfenen Worten etwas zerstören könnte, das mir so wertvoll war. Was, wenn seine Worte auf mich wirkten wie die Kinderlähmung? Das musste eine mächtige Krankheit sein, wenn sie Gott in einem Menschen töten konnte.
Er ging davon, schlingerte heftig in der schweren See, die der feste Erdboden war. »Vergiss nicht die Klassenarbeit am Dienstag. Immer fleißig lernen, 3 < 14 !«
»Ja, MrKumar.«
Er wurde mein Lieblingslehrer am Petit Séminaire, ihm habe ich es zu verdanken, dass ich an der Universität von Toronto Zoologie studierte. Ich fühlte mich ihm verwandt. Zum ersten Mal erfuhr ich, dass die Atheisten meine Brüder und Schwestern im Glauben sind. Sie glauben an etwas anderes, aber jedes Wort, das sie sprechen, spricht vom Glauben. Genau wie ich gehen sie so weit, wie die Beine der Vernunft sie tragen - und dann machen sie den Sprung.
Ich will es ganz offen sagen. Es sind nicht die Atheisten, die ich nicht leiden kann, sondern die Agnostiker. Eine Zeit lang ist der Zweifel ein nützliches Mittel. Jeder von uns muss durch den Garten Getsemaneh. Wenn Christus zweifelte, dann sollten wir es ebenfalls tun. Wenn Christus eine qualvolle Nacht im Gebet verbrachte, wenn er vom Kreuz sein »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« herunterschrie, dann wird gewiss auch uns der Zweifel gestattet sein. Aber wir müssen über den Zweifel hinauskommen. Den Zweifel zur Lebensphilosophie zu erklären, das ist, als wählte man den Stillstand zum Transportmittel.
Kapitel 8
Wir Zooleute sagen gern: Das gefährlichste Tier im Zoo ist der Mensch. Allgemein gesprochen meinen wir damit, dass die Unersättlichkeit des Raubtiers Mensch den ganzen Planeten zu seiner Beute gemacht hat. Im spezielleren Sinne denken wir dabei an jene, die den Ottern Angelhaken zu fressen hinwerfen, den Bären Rasierklingen, den Elefanten Äpfel, in die sie Nägel gesteckt haben, überhaupt Gegenstände aller Art: Kugelschreiber, Büroklammern, Sicherheitsnadeln, Gummiringe, Kämme, Teelöffel, Hufeisen, Glasscherben, Ringe, Broschen und anderen Schmuck (und nicht nur billige Ohrstecker, sondern goldene Eheringe), Strohhalme, Plastikbesteck, Tennisbälle, Federbälle und so weiter. Ein Nachruf auf Zootiere, die daran gestorben sind, dass Menschen ihnen solche Dinge gegeben haben, würde Gorillas umfassen, Bisons, Störche, Nandus, Strauße, Seehunde, Seelöwen, Großkatzen, Bären, Kamele, Elefanten, Affen und so ziemlich jede Art von Singvogel, Wild und Wiederkäuer. Jeder Zoowärter kennt die traurige Geschichte von Goliath, dem Seeelefanten, einem prachtvollen Tier von zwei Tonnen Gewicht; er war der Star seines Zoos in Europa, alle Besucher liebten ihn. Er starb an inneren Blutungen, weil jemand ihn mit einer zerbrochenen Bierflasche gefüttert hatte.
Oft ist die Grausamkeit aber auch aktiver,
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