Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
Vom Netzwerk:
eine afrikanische Schimpansin, die im Zuge von Vaters Tier-Transaktionen zu uns stieß. In einer Tonne Bananen stecken gut und gern drei Pfund dicker, schwarzer Spinnen. Ein Schimpanse ist eine Art kleiner, magerer Gorilla, doch nicht so sympathisch. Ihm fehlt das Sanfte und Melancholische der größeren Vettern. Ein Schimpanse schüttelt sich und schneidet Grimassen, wenn er eine dicke schwarze Spinne anfasst, genau wie jeder von uns es tut, und dann zerquetscht er sie wütend mit den Fingerknöcheln, was wir vielleicht nicht unbedingt tun würden. Ich fand, Bananen und ein Schimpanse waren interessanter als die lärmende, schmutzige Maschinerie in den finsteren Eingeweiden des Schiffs. Ravi verbrachte seine Tage dort unten und sah den Männern bei der Arbeit zu. Die Maschinen seien nicht in Ordnung, erzählte er. War ein Fehler bei der Reparatur Schuld an unserem Unglück? Ich weiß es nicht. Und ich glaube auch nicht, dass es jemals ein Mensch erfahren wird. Die Antwort auf diese Frage liegt tief auf dem Meeresgrund, Tausende Faden tief.
    Von Manila fuhren wir hinaus auf den Pazifik. Am vierten Tag, nach einem Viertel der Strecke, sanken wir. Das Schiff verschwand in einem Stecknadelloch auf meiner Karte. Ein Berg brach vor meinen Augen ein und verschwand unter meinen Füßen. Das Schiff erbrach sich, und ringsum schwamm das Erbrochene im Meer. Mein Magen drehte sich. Ich spürte den Schock. Ich spürte eine große Leere in meinem Inneren, und die Leere füllte sich mit Lautlosigkeit. Noch Tage später schmerzte mir die Brust von Entsetzen und Angst.
    Etwas explodierte, glaube ich. Aber sicher bin ich mir nicht. Es geschah in der Nacht. Es riss mich aus dem Schlaf. Das Schiff war kein Luxusliner. Es war ein schmutziges, geschundenes Frachtschiff, das nicht für die bequeme Reise von Passagieren eingerichtet war. Geräusche gab es ständig. Gerade weil der Geräuschpegel so gleichmäßig und hoch war, schliefen wir wie die Kinder. Es war eine Form von Stille, die nichts stören konnte, nicht einmal Ravi mit seinem Schnarchen oder ich, wenn ich im Schlaf redete. Ein neues Geräusch war der Knall der Explosion, wenn es denn eine war, also nicht. Aber es war eine Unregelmäßigkeit. Mit einem Schlag war ich hellwach, als hätte Ravi direkt an meinem Ohr einen Luftballon platzen lassen. Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war kurz nach halb fünf. Ich blickte über die Kante zur Koje unter mir. Ravi schlief.
    Ich zog mich an und kletterte hinunter. Normalerweise schlafe ich sehr fest. Normalerweise hätte ich mich einfach umgedreht und weitergeschlafen. Ich weiß nicht, warum ich in jener Nacht aufgestanden bin. Eigentlich hätte das eher zu Ravi gepasst. Dass etwas
winkt,
war einer seiner Lieblingsausdrücke. »Das Abenteuer winkt«, hätte er gesagt und sich dann an die Erkundung des Schiffes gemacht. Die Geräusche hatten jetzt wieder ihre normale Lautstärke, auch wenn es irgendwie anders klang, dumpfer vielleicht.
    Ich schüttelte Ravi. »Ravi«, sagte ich. »Irgendwas stimmt nicht. Lass uns nachsehen.«
    Er blickte mich schlaftrunken an. Dann schüttelte er den Kopf, drehte sich auf die andere Seite und zog sich die Decke bis ans Kinn. Ach, Ravi!
    Ich öffnete die Kabinentür.
    Ich weiß noch, wie ich den Korridor hinunterging. Er sah immer gleich aus, bei Tag wie bei Nacht. Aber ich spürte die Nacht in mir. An der Tür von Vater und Mutter blieb ich stehen und überlegte, ob ich klopfen sollte. Ich blickte dann, das weiß ich noch, auf meine Uhr und entschied mich dagegen. Vater war immer ärgerlich, wenn man ihn weckte. Ich würde allein nach oben gehen und mir den Sonnenaufgang ansehen. Vielleicht kam eine Sternschnuppe. Daran dachte ich, an Sternschnuppen, als ich nach oben ging. Wir waren zwei Etagen unter dem Hauptdeck. Das seltsame Geräusch hatte ich schon wieder vergessen.
    Ich drückte die schwere Tür zum Deck auf, und erst da sah ich, welches Wetter herrschte. Hätte es schon als Sturm gegolten? Es regnete, das steht fest, aber nicht allzu sehr. Jedenfalls nicht die Art von Platzregen, die man vom Monsun kennt. Und es war windig. Manche von den Böen hätten wohl einen Regenschirm umgestülpt. Aber ich konnte mich ohne große Mühen auf Deck halten. Die See sah rau aus, aber für eine Landratte wie mich wirkte schon ein mäßiger Seegang beunruhigend, schön anzusehen, aber doch angsteinflößend. Wellen schlugen hoch, und der Wind fasste den weißen Schaum und schmetterte ihn an die Schiffswand.

Weitere Kostenlose Bücher