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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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die Vernunft auf die großen Fragen keine Antwort? Warum können wir eine Frage weiter auswerfen, als wir die Antwort einholen können? Warum ein so großes Netz, wenn es nur so kleine Fische zu fangen gibt?«
    Sein Kopf ragte nun kaum noch aus dem Wasser. Er blickte auf, sah zum letzten Mal den Himmel. Im Boot war ein Rettungsring mit einem Seil daran. Ich packte ihn und hielt ihn in die Höhe.
    »Siehst du den Ring, Richard Parker? Siehst du, was ich hier habe? Halt dich daran fest. UFF ! Ich versuch's noch einmal. UFF !«
    Er war zu weit draußen. Aber er sah, dass ich ihm einen Rettungsring zuwarf, und das machte ihm neuen Mut. Er nahm seine Kräfte zusammen und peitschte das Wasser mit energischen, verzweifelten Zügen.
    »So ist's richtig! Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Und tief durchatmen. Nimm dich in Acht vor den Wellen. PRRRIIII
! PRRRIIII ! PRRRIIII !«
    Mein Herz war kalt wie Eis. Der Kummer drehte mir den Magen um. Aber für die Lähmung des Schocks blieb keine Zeit. Mein Schock war ein tätiger Schock. Etwas in mir wollte nicht aufgeben, wollte das Leben nicht loslassen, wollte kämpfen bis zur letzten Sekunde. Wo dieses Etwas den Mut hernahm, ist mir ein Rätsel.
    »Ist das nicht zum Lachen, Richard Parker? Wir sind mitten in der Hölle, und trotzdem fürchten wir uns vor der Unsterblichkeit. Sieh doch nur, wie nahe du schon bist! PRRRIIII
! PRRRIIII ! PRRRIIII !
Hurra, hurraaa! Du schaffst es, Richard Parker, du schaffst es! Fang! UFF !«
    Ich warf den Rettungsring mit aller Macht. Direkt vor seiner Nase landete er im Wasser. Mit letzten Kräften reckte er sich und hielt sich daran fest.
    »Halt gut fest, ich ziehe dich an Bord. Du ziehst mit den Augen, ich mit den Händen. Gleich sitzen wir beide im Boot. Moment mal-wir sitzen beide im selben Boot? Bin ich denn noch bei Trost?«
    Erst da begriff ich, was ich gerade tat. Ich riss an der Leine.
    »Lass den Rettungsring los, Richard Parker! Loslassen, sage ich! Ich will dich nicht hier oben haben, hörst du? Schwimm anderswohin. Lass mich in Ruhe. Weg mit dir. Meinetwegen kannst du ertrinken! Los, ertrinke!«
    Mit kräftigen Stößen kam er näher. Ich schnappte mir ein Ruder. Ich stach damit nach ihm, wollte ihn wegstoßen. Ich stach daneben, und das Ruder fiel ins Wasser.
    Ich nahm ein zweites. Ich steckte es in eine Dolle und zog, so fest ich konnte. Doch statt das Rettungsboot von ihm fortzubringen, drehte ich es nur ein wenig, und das eine Ende war Richard Parker näher denn je.
    Ich würde ihm einen Schlag auf den Kopf versetzen! Ich hob das Ruder in die Höhe.
    Er war zu schnell. Schon war er am Bootsrand und hievte sich an Bord.
    »Herr im Himmel!«
    Ravi hatte Recht gehabt. Die nächste Ziege war ich. Ich hatte einen nassen, schlotternden, halb ertrunkenen, keuchenden und hustenden ausgewachsenen dreijährigen bengalischen Tiger in meinem Rettungsboot. Richard Parker rappelte sich auf der Plane auf, unsicher auf den Pranken, seine Augen schossen Blitze, als sie in die meinen blickten, die Ohren hatte er angelegt, alle Krallen ausgestreckt. Sein Kopf hatte die Umrisse und die Farbe des Rettungsrings, nur mit Zähnen.
    Ich drehte mich um, kletterte über das Zebra und sprang von Bord.

Kapitel 38
    Ich verstehe es nicht. Tagelang war das Schiff gefahren und gefahren und hatte sich nicht im Mindesten um seine Umgebung geschert. Die Sonne schien, es regnete, der Wind blies, Meeresströmungen flossen, das Meer türmte sich zu Bergen auf, das Meer senkte sich zu tiefen Tälern - der Tsimtsum machte das nichts aus. Massig, bedächtig bewegte sie sich mit der Selbstsicherheit eines Kontinents.
    Ich hatte für die Reise eine Weltkarte gekauft und sie an die Pinnwand in unserer Kabine geheftet. Jeden Morgen ging ich auf die Brücke, ließ mir unsere Position geben und markierte sie dann mit einer Stecknadel mit orangefarbenem Kopf. Von Madras ging unser Kurs durch die Bucht von Bengalen, die Malakkastraße hinunter, um Singapur herum, und dann nahmen wir Kurs auf Manila. Ich genoss jede Minute. Es war so aufregend, auf einem Schiff zu sein. Die meiste Zeit hatten wir mit der Versorgung der Tiere zu tun. Hundemüde fielen wir jeden Abend in die Kojen. Wir lagen zwei Tage in Manila, wo wir frisches Futter bunkerten, weitere Ladung an Bord nahmen und, so erklärte man uns, einige Routine-Wartungsarbeiten an den Maschinen durchführten. Meine Aufmerksamkeit galt ganz den ersten beiden. Zu dem Frischfutter gehörte eine Tonne Bananen, zur neuen Ladung

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