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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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denken konnte, sie hätte die Zunge in eine Steckdose gesteckt. Vater ließ die Hörner leuchtend orange bemalen und kleine Plastikglöckchen anbringen, damit sie umso echter aussah.
    Eine dreiköpfige Abordnung kam aus Amerika. Das war lustig - nie im Leben hatte ich leibhaftige Amerikaner gesehen. Sie waren rotgesichtig, fett und freundlich, kannten sich gut aus und schwitzten entsetzlich. Sie untersuchten unsere Tiere. Den meisten verabreichten sie ein Betäubungsmittel, und dann hielten sie ihnen ihr Stethoskop ans Herz, untersuchten Urin und Fäkalien, als wollten sie das Horoskop daraus lesen, zapften mit Nadeln Blut ab und analysierten es unter dem Mikroskop, betasteten Warzen und Knoten, klopften an die Zähne, leuchteten mit Taschenlampen in kniepende Augen, kniffen Häute, fuhren über Fell und zerrten an Haaren. Die armen Tiere. Es muss ihnen vorgekommen sein wie die Musterung zur Aufnahme in die Army. Die Amerikaner zeigten beim Lächeln ihre Zähne und drückten einem die Hände, dass die Knochen knackten.
    Und so bekamen die Tiere, genau wie wir, ihre Aufenthaltserlaubnis. Sie würden Yankees werden und wir Kanadier.

Kapitel 35
    Am 21 .Juni 1977 brachen wir aus Madras auf, mit dem japanischen Frachter
Tsimtsum,
der unter Panamaflagge fuhr. Die Offiziere waren Japaner, die Mannschaft kam aus Taiwan, und es war ein großes und eindrucksvolles Schiff. An unserem letzten Tag in Pondicherry verabschiedete ich mich von Mamaji, von Mr und MrKumar, von all meinen Freunden, sogar von vielen Fremden. Mutter hatte ihren schönsten Sari angelegt. Ihr langer Zopf, kunstvoll gewunden und am Hinterkopf zusammengesteckt, war mit einem frischen Jasminsträußchen geschmückt. Sie sah wunderschön aus. Und traurig. Denn sie sollte fort aus Indien, dem Indien der schwülen Sommer und Monsunregen, der Reisfelder und des Cauvery River, der Meeresufer und steinernen Tempel, der Ochsenkarren und bunten Gespanne, der Freunde, der altbekannten Läden, fort von Nehru Street und Goubert Salai, von diesem und von jenem, von Indien, das ihr so vertraut war und das sie so sehr liebte. Ihre Männer - zu denen ich mich zählte, obwohl ich ja gerade erst sechzehn war - konnten den Aufbruch gar nicht erwarten und sahen sich im Geiste schon in Winnipeg; sie aber wäre gern geblieben.
    Am Tag vor dem Aufbruch wies sie auf einen fliegenden Zigarettenhändler und fragte: »Sollen wir noch ein Päckchen kaufen?«
    »In Kanada gibt es auch Zigaretten«, sagte Vater. »Und was willst du damit? Bei uns raucht doch keiner.«
    Sicher, in Kanada gibt es Zigaretten - aber auch von Gold Flake? Gibt es Arun-Eiscreme dort? Fahrräder von Hero? Fernseher von Onida? Fahren die Leute Ambassadors? Heißen die Buchläden Higginbothams? Solche Fragen, male ich mir aus, gingen Mutter durch den Kopf, wirbelten alle durcheinander, als sie überlegte, ob sie noch ein Päckchen Zigaretten kaufen sollte.
    Die Tiere bekamen Beruhigungsmittel, Käfige wurden an Deck gehievt und festgezurrt, Futter gebunkert, Kojen belegt, Leinen geworfen; Sirenen tuteten. Als das Schiff langsam vom Kai ablegte und hinaus auf See manövriert wurde, winkte ich nach Leibeskräften Indien Lebewohl. Die Sonne schien, es wehte ein steter Wind, die Möwen stießen hoch in der Luft ihre Schreie aus. Ich war ungeheuer aufgeregt.
    Es sollte anders kommen, als wir dachten, aber was kann man da schon machen? Man muss das Leben nehmen, wie es kommt, und sehen, dass man das Beste daraus macht.

Kapitel 36
    Indische Städte sind groß und unglaublich geschäftig, aber wenn man sie erst einmal hinter sich lässt, reist man durch endlos leere Landschaften, in denen man kaum eine Menschenseele sieht. Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe, wo sich 950 Millionen Inder verstecken können.
    Ähnlich geht es mir in seinem Haus.
    Ich bin ein wenig zu früh. Ich setze gerade den Fuß auf die unterste Treppenstufe, da kommt ein Teenager zur Tür herausgestürmt. Er ist im Baseballtrikot, Schläger in der Hand, und er hat es sehr eilig. Als er mich sieht, hält er inne, überrascht. Er dreht sich um und brülltins Haus: »Dad, der Schriftsteller ist da!« Zu mir sagt er »Hi!«, und schon ist er fort.
    Sein Vater kommt an die Haustür. »Hallo«, sagt er.
    »Das war Ihr Sohn?«, frage ich ungläubig.
    »Ja.« Er lächelt stolz. »Eigentlich hätte ich Sie bekannt machen sollen. Aber er war schon zu spät zum Training. Er heißt Nikhil. Genannt Nick.«
    Ich komme auf den Flur. »Ich habe ja gar nicht

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